Einige Bemerkungen zum Krieg und Völkermord im Kosovo
Schöffengrund, den 9. April 1999
Der Krieg im Kosovo hat zu einer dramatischen Entwicklung geführt. Glaubte man zu Beginn der Kriegshandlungen, mit massiven Luftschlägen auf ^Ästrategische Ziele^Ó das Regime Milosovic zu einer baldigen Unterschrift unter das Rambouillet-Abkommen zwingen zu können, mehren sich jetzt die Stimmen - auch unter den anfänglichen Befürwortern des NATO-Einsatzes -, daß dieser Krieg eine folgenschwere Fehlentscheidung war und daher ein sofortiger Waffenstillstand und neue Verhandlungen dringend erforderlich sind. Die brutale Vertreibung der Kosovo-Albaner und der bereits vor den NATO-Angriffen begonnene Völkermord im Kosovo sind im Zuge der NATO-Bombardements eskaliert und haben hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene in eine katastrophale Situation gebracht. Es wird deutlich, daß die fatalen Auswirkungen der NATO-Angriffe entweder völlig unterschätzt, oder nicht genügend bedacht und im Vorfeld rechtzeitig analysiert worden sind. War jemals die Rede davon, daß die Kriegshandlungen eine Flüchtlings- und Vertreibungswelle auslösen könnten, auf die die Regierungen und Menschen in den kriegsführenden Ländern hätten vorbereitet sein müssen?
In einem Klagegebet während eines ökumenischen Friedensgottesdienstes in der Osterwoche in Wetzlar-Niedergirmes beteten wir:
Gott, der Du Christus von den Toten erweckt hast ...wir klagen Dir die Zerstörungen durch die Luftangriffe, die nicht nur materiellen Schaden anrichten, sondern auch alle Initiativen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Versöhnung und Frieden zum Scheitern verurteilt haben, sodaß die mühsame Aufbauarbeit nach dem Bosnienkrieg und alle Bemühungen, einen Krieg im Kosovo zu verhindern, gescheitert sind. Wiedereinmal wurden warnende Stimme nicht beachtet, nicht früh genug gehört und alternative Lösungswege nicht ernsthaft genug beschritten. Am Ende siegte wieder Gewalt und Zerstörung. Wir bekennen Dir, daß wir als Christen und Kirchen nicht entschieden die Friedensbotschaft Jesu bezeugt haben. Wir haben die vielen christlichen und nichtchristlichen Initiativen für gewaltfreie und nichtmilitärische Lösungen der Konflikte und des Terrors auf dem Balkan nicht genügend beachtet und ernstgenommen und nicht deutlich genug unterstützt. Heute müssen wir uns mitschuldig bekennen angesichts einer gescheiteretn Politik, die auch wir nicht haben verhindern können...
Verschiedene christliche und nichtchristliche Friedensinitiativen und Friedensorganisationen erinnern in diesen Tagen daran, daß es entgegen der Behauptungen der NATO durchaus mögliche nichtmilitärische Alternativen gegeben hätte, den gewaltsamen Konflikt und die Vertreibung im Kosovo verhindern. So schreiben Juristinnen und Juristen in einem Memorandum, das am 31. März 1999 in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht wurde (S. 10) u.a.:
... Das Ausmaß der Entrechtung der albanischen Bevölkerung und die Brisanz der Situation in Kosovo ist im Westen seit vielen Jahren bekannt. Trotzdem wurde der Kosovo-Konflikt im Dayton-Abkommen ausgeklammert. Die gewaltfreie Politik der Kosovo-Albaner erfuhr über Jahre hinweg vom Westen keine wirksame Unterstützung im Sinne vorbeugender Konfliktbearbeitung. Die westlichen Regierungen versagten so denjenigen die hinreichende Unterstützung, die - wie der Kosovo-Politiker Rugova und seine Anhänger - über viele Jahre ohne Gewalt mit zivilen Mitteln um eine politische Kompromißlösung rangen, und überließen sie lange der politischen Willkür Belgrads.... - Es ist unterlassen worden, vor Ort in Kosovo ausreichend starke internationale Polizeikräfte und UN-Blauhelme deeskalierender Art unter der Hoheit des UN-Sicherheitsrates und mit Zustimmung der Konfliktparteien als ^ÄPuffer^Ó zwischen Serben und Kosovo-Albanern zu stationieren, um den Waffenstillstand zu sichern. - Es ist unterlassen worden, ein ziviles ^ÄEntfeindungsprogramm^Ó zu entwickeln, das auf Kooperation vor allem auch mit den reformwilligen Kräften in Serbien und in Kosovo setzt.
Das Schlimmste an diesem Krieg ist die wachsende Zahl der Opfer: Die brutal vertriebenen und traumatisierten Menschen aus dem Kosovo, die Opfer von Massakern und Völkermord, die Opfer unter der Zivilbevölkerung im Kosovo, in Montenegro und in Serbien. Bestand doch die ^Äoffizielle Legitimation dieses NATO-Einsatzes darin, nicht länger dem menschenverachtenden Handeln des Regimes in Belgrad untätig zuzusehen, scheint sich das Leid der Menschen inzwischen nicht verringert, sondern eher verschlimmert zu haben. Bedrückend ist der mit den NATO-Angriffen verbundene Glaubwürdigkeitsverlust der westlichen Demokratien und ihrer viel beschworenen Rechtsstaatlichkeit auf dem Balkan. Wirtschaftlich schwache Gebiete wurden massiv bombardiert, ihre Infrastruktur und wichtige Versorgungseinrichtungen sinnlos zerstört. Sogar inzwischen wiederhergestellte Häuser, die die Rückkehr von Flüchtlingen aus Bosnien in ihre Heimat ermöglichen sollte, wurden von Bomben getroffen. Gestern sagte jemand, der bosnische Kriegsflüchtlinge betreut: Das ganze Rückführungsprogramm von Flüchtlingen nach Bosnien ist erst einmal beendet. Für Christen zielen die Maxime der Gewaltfreiheit und der Feindesliebe ^Äauf eine Deeskalierung von Gewalt und den Schutz des Lebens^Ó, wie der mennonitische Theologe Fernando Enns zurecht betont: ^ÓDiese Gebote verlangen von uns ja gerade hinzusehen. Es geht um Glaubwürdigkeit, in der Tat, aber um die Glaubwürdigkeit des Eintretens für Menschenrecht und Lebenserhaltung, nicht um die Glaubwürdigkeit eines Militärbündnisses! Gerade diese Glaubwürdigkeit verspielt der ^Ñchristlich geprägte^Ò Westen.^Ó (idea spektrum, 14/1999, S.21).
Viele Mitglieder, Freundinnen und Freunde von Church and Peace, die seit Jahren im ehemaligen Jugoslawien sich um Frieden, Verständigung, (Wieder-)Aufbau und Versöhnung bemühen, berichteten uns in den letzten Tagen übereinstimmend, daß die NATO-Angriffe ihre mühevolle Arbeit und die vieler einzelner Menschen und Initiativen in Bosnien, im Kosovo, in Kroatien und in Serbien, nicht nur beendet, sondern auch jegliche Hoffnung, wieder neu zu beginnen, weithin zerstört haben. Unter ihnen ist auch Gudrun Tappe-Freitag (Mitglied der Initiative Schalom), deren lang-jährige Arbeit im ehemaligen Jugoslawien in der aktuellen Ausgabe von ^ÄKirche und Frieden^Ó (Nr. 1/1999, S. 15) erwähnt wird. In Ergänzung dazu schreibt sie aufgrund der aktuellen Kriegsentwicklung:
Damals war ich voller Hoffnung für die Menschen in der Vojvodina. Heute bin ich voller Trauer und Sorge. Mit allen, die in Jugoslawien seit etwa 9 Jahren für Frieden, Verständigung und Versöhnung gearbeitet haben, stehe ich vor einem Scherbenhaufen. Alles, was wir aufgebaut haben, ist zerstört. Nur am Telefon können wir die Trauer teilen, und ich werde so Zeugin von fallenden Bomben, während die Tassen im Schrank klirren. Wirkliche Fragen stelle ich am Telefon nicht, es ist eine Sprachlosigkeit auf beiden Seiten und auch um niemanden noch mehr in Gefahr zu bringen. Ob ich als Deutsche überhaupt in Zukunft wieder in dies Land reisen kann? Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Greueltaten deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg noch nicht überall vergessen waren. Und jetzt sind wieder wir Deutschen am Krieg beteiligt. Die Organisation TABITA in Novi Sad, für die ich arbeite, sieht eine humanitäre Katastrophe auf die Bevölkerung zukommen. In den Fabriken wird nicht gearbeitet. Es gibt keinen Lohn und bald steht kein Geld mehr zur Verfügung. Sie ruft zu schneller Hilfe auf! Die letzten Nachrichten künden eine Kampfpause des serbischen Militärs in Kosovo wegen des orthodoxen Osterfestes an. Gibt es einen Hoffnungsschimmer für eine Pause zum Nachdenken und Verhandekn für alle Beteiligten? Hoffnungsschimmer?
Gudrun Tappe-Freitag weist auf die Not der Menschen in der Vojvodina hin. Viele solcher Hilferufe hören wir in diesen Tagen von verschiedenen Organisationen und Initiativen, die für Frieden und Versöhnung auf dem Balkan arbeiten und trotz militärischer und anderer Gefahren humanitäre Hilfe leisten. Die Not der Menschen im Kosovo ist sicher am bedrückendsten. Aber auch in Serbien, in Bosnien und in anderen Regionen des vom Krieg betroffenen ehemaligen Jugoslawiens leiden Menschen und sind in ihrer Existenz bedroht. Bitte hören Sie diese Hilferufe nicht nur jetzt, sondern auch dann noch, wenn sich das Interesse der Medien wieder auf andere Themen richten wird. Wir werden in der Geschäftsstelle eine Liste der verschiedenen Projekte, die den vom Krieg und Völkermord betroffenen Menschen helfen sollen, zusammenzustellen, die Sie bei uns erfragen können (Tel. 06445/5588, Fax: 06445/5070). Unterstützen wir auch alle Anstrengungen um eine bedingungslose und freundliche Aufnahme der Vertriebenen, der Flüchtlinge und Deserteure aus den vom Krieg und Völkermord betroffenen Gebieten in unsere Länder.
Christian Hohmann, Generalsekretär von Church and Peace