Church & Peace

Kirche und Frieden Rundbrief

Sommer-Herbst- 2001

 

Es geht um Berufung...

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Mit großer Verspätung erhalten Sie diesen Rundbrief von Church and Peace. Die hier behandelten Themen stehen nun im Schatten der Ereignisse vom 11. September. Es erscheint uns jedoch wichtig, nicht der Versuchung nachzugeben, Konfliktzonen zu vergessen, die nicht mehr in den Schlagzeilen zu finden sind. Die Friedensarbeit behält ihre Dringlichkeit an den Orten, wo die Waffen endlich schweigen, wo der Frieden aber mehr als zerbrechlich bleibt und die Wunden noch lange nicht verheilt sind.

Aus diesem Grund gibt diese Nummer unseres Rundbriefs einen Einblick in die Begegnungen, die unser Verein im April dieses Jahres in den Niederlanden organisiert hat. Diese Tage standen unter dem Leitwort der Dekade “zur Überwindung von Gewalt”, zu der vom Ökumenischen Rat der Kirchen aufgerufen wurde und konzentrierten sich auf eine Herausforderung besonderer Art: “Gewalt überwinden im Kontext interreligiöser und interethnischer Konflikte”. Die Verheißung in Jesaja 58, Vers 12 (... man wird Dich das Volk nennen, das die Straßen wieder bewohnbar macht”...) war das Motto dieser Tage und stellte eine Einladung dar, ohne Umschweife den Aufruf an das Volk Gottes wahrzunehmen, für das Leben und für die Heilung der Wunden unter den Völkern zu arbeiten, die Behausungen – und die Bewohner wieder aufzurichten, die Gerechtig-keit Gottes deutlich zu machen. Schwerpunkt der Diskussionen war die Dringlichkeit eines christlichen Friedenszeugnisses in der Gewaltfreiheit des Evangeliums mitten in Konflikten wie auf dem Balkan, in Nordirland und in Ruanda.

Näheres zu dem, was in diesen Tagungen gesagt wurde, die wichtigsten Beiträge in ihrem Wortlaut sind in Heften 7 und 8 unserer Reihe Theologie und Frieden nachzulesen.

Der vorliegende Rundbrief erwähnt auch ein Projekt, das vom Ökumenischen Rat der Kirchen an die Konferenz Europäischer Kirchen in Südosteuropa übertragen wurde; eine Erklärung zweier pfingstlerischer Theologen aus Mazedonien an die Synode der orthodoxen Kirche in Mazedonien; sowie Notizen einer Reise in Jugoslawien und Kroatien. Schließlich wird durch Echos von der Mitgliederversammlung von Church and Peace und die Vorstellung der Gemeinschaft von Selbitz, die Mitglied unseres Vereins geworden ist, der Blick auf die Entwicklungen in unserem Netz letztes Frühjahr vervollständigt.

“Du wirst der Ausbesserer der Breschen, der Wiederhersteller von Wegen genannt werden.” Die Arbeit für Frieden und Versöhnung ist nicht eine Option für die Kirche Jesu Christi, es geht dabei um ihre Berufung.

Viel Freude beim Lesen!

Marie-Noëlle von der Recke

Übersetzung: Silvia von Verschuer

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Die Straßen wieder bewohnbar machen

Church & Peace internationale Tagung

Theo Döllgast

Nicht immer passt ein Bibelwort so durchgängig auf eine Tagung wie hier Jesaja 58,12: “Deine Leute bauen die uralten Trümmer wieder auf, die Grundmauern aus der Zeit vergangener Generationen stellst Du wieder her, man wird dich das Volk nennen, das die Breschen ausbessert, und das die Straßen wieder bewohnbar macht.”

Es ging um die drei Konfliktherde Balkan, Nordirland und Ruanda, die stellvertretend stehen für viele andere, bei denen Ethnisches und Religiöses sich unselig vermischt. Versammelt waren im schönen mennonitischen Tagungszentrum 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, davon etwa ein Fünftel aus den betroffenen Zonen, wo Mitglieder von Church and Peace vor Ort tätig sind. So waren Informationen aus erster Hand verfügbar.

Im Bibeltext geht es um das zerstörte Jerusalem und seinen Wiederaufbau. Die Breschen klaffen in den Mauren wie auch zwischen Menschengruppen, die zer-stritten sind. Die Verbindungen sind gleichsam vermint. Das passt auf Belfast, Pristina oder Usumbara. Der Prophet verkündet, dass es wieder heil werden wird, gegen allen Augenschein.

Die Tagungsregie hatte das Thema in den Rahmen der “Dekade zur Überwindung von Gewalt” gestellt. Dazu hat Reinhard Voß (Pax Christi) referiert: wo allgemein die “Unkultur der Gewalt” sich ausbreitet; wie der lange Katalog des ÖRK, wo überall sich Gewalt manifestiert (strukturell bei Staat, Rechtssystem, Familie, gegen Schöpfung...) schier entmutigt; wie aber doch als Reaktion sich Netze der Solidarität bilden (Viva Janeiro, Friedensallianzen); wie der religiöse und der politische Pazifismus zusammengehen wollen; wie Jesus mit der “anderen Wange” den dritten Weg zeigt zwischen Flucht und Aufstand. Ermutigend für den Nichtkatholiken zu sehen, wie auch der linke Flügel kräftig schlägt, nicht nur der rechte. In der Diskussion wurde nochmal Wichtiges hervorgehoben: das Werben der Friedenskirchen bei den Großkirchen und Gemeinden; die Erziehung zur Friedenspraxis in den Schulen (Schulmediation, konstruk-tive Provokation) als neuer Anlauf nach der ermüdeten “Friedenspädagogik”. Die Dekade kann reichlich gefüllt werden mit Praktischem und erscheint als hoffungsvolles Unternehmen.

Jekic Janko, Journalist aus Ex-Jugoslawien, hatte ein Talent, den freien Diskurs anzuregen: die Kompetenten aus den Regionen berichten, das Publikum vertieft durch kompetente Fragen. Musterfall ist ein Dorf in Serbien, wo es seit 2 Jahren dem Zentrum für Frieden, Gewaltfreiheit und Menschenrechte gelingt, in Kleinstarbeit den Haß und die Konfessionsgrenzen zu überwinden. Man begreift wie Friedenstiften im Einzelnen vor sich geht, wie Straßen wieder bewohnbar werden.

In Kleingruppen wird einen Nachmittag lang an verschie-denen “Breschen” gearbeitet. Themen sind: mediation in Europa; Kirche sein mitten in Konflikt - die Ketten der Macht und des Patriotismus brechen; Erinnerung als Akt der Versöhnung; geistliches Auftanken für Friedenstifter; Kampagne gegen die Verwendung abgereicherten Urans und gegen Waffenhandel.

Höhepunkt der Tagung war ein Dialogforum mit Aleksandar Birvis (Yugoslav Association for Religious Freedom), Joe Campbell (Mediation Network, Belfast) and Joséphine Ntihinyuzwa (Detmold Confession, ursprünglich aus Ruanda). Die Sprecher und das Publikum rangen, haderten fast um Spuren gangbarer Wege aus der Verwirrung, für uns außerhalb und für die Menschen dort.

Das Problem wurde in drei Leitfragen angeschnitten:

• Wie weit sind die Kirchen sowohl am Ursprung als an der Lösung des Konfliktes beteiligt?

Die alte Schuld der großen Kirchen kam wieder zutage: ihre Liaison mit der Macht. Sie sind in der Umarmung durch den Staat handlungsunfähig, wenn dessen Interessen umschlagen vom Ordnenden ins Destruktive. “Am Anfang stehen die Versäumnisse” - ein Satz, der rückwirkend zwar nichts nützt, doch Mahnwort ist für jede Gegenwart. Als Lösungs-beiträge, wie man sie von den Kirchen wünscht, werden genannt: man möge jeweils die andere Seite verstehen; man möge Gewalt nicht als unverzichtbar betrachten; man möge Abstand nehmen von Genugtuung (Modell: Wahrheitskomissionen); man möge, als neue Sicht der Dinge, Konflikte nicht als Krankheit, sondern als er-schwerte Umstände betrachten; man möge statt “vergeben und vergessen” als neue Formel annehmen “erinnern und verändern”. -lauter fromme Wünsche, aber so sind sie auch gemeint.

• Wie groß ist der Handlungsspielraum der Kirchen?

Beispielhaft für kirchliches Handeln wurde das “Detmold Bekenntnis” (1999) gebracht, bei dem Ruandas Kirchen in öffentlicher Reue ihre Mitschuld eingestehen und para-llel dazu die hiesigen Partnerkirchen ihre Versäumnisse. Auch wurde - wieder einmal - an die Internationalität der Kirchen appeliert, die bei innerchristlichen Konflikten besonders mangelt. Wer überhaupt bringt Kirchen in Bewegung? Die klare Antwort war: Jeder Einzelne im Kirchenvolk. Praktisch heißt das: Spricht persönlich vor bei eurem Bischof, macht sit-ins vor dem Ordinariat...

• Wie weit können wir - als Einzelne, Gruppen, Kirchen - die Kirchen dort unterstützten?

Im Praktischen wird an-geregt, einiges anzubieten: Ausbildung in Mediation; Stipendien für Studenten; Austausch von Dozenten auf akademischem Niveau; Gelegentheit zur Erholung von erschöpften Friedensarbeiterinnen und Friedensarbeitern; Besuche in den Regionen, nicht touristisch, sondern teil-nehmend. Und als geistliche Übung bei alledem wird uns empfohlen, uns zu enthalten aller fingerzeigenden Kritik. - Über dem Praktischem zeigt sich, wenn man bei Church and Peace über Konflikte redet, die ganz andere Dimension, als wenn dies Diplomaten oder Generäle tun. Immer wieder, mitten Im Sachlichen, taucht bei den Betroffenen die Bitte auf: Betet für uns! Das mutet seltsam weltfremd an. Aber zusammen mit dem Sachlichen hat das Gebet wohl erst seine eigentliche Wirkung: es setzt unser Handeln, auch wenn es noch so mikroskopisch ist, in seinen großen Zusammenhang. Und es macht Mut zum Paradox, dass Frieden machen zwar unsre Sache ist, aber letztlich doch nicht unsre Sache.

Zwei Gottesdienste durchsetzten die Tagung. Ein Quäker-Zusammensein mit, wie üblich, seiner Stille, die mehr sagt als viele Worte. Und der Schlußgottesdienst, bei dem Janna Postma (Holland) in der Predigt die Schleife schloss: das prophetische Wort damals, und die prophetische Aufgabe der Kirche heute, Mahnrede zu halten und dennoch vom Heil zu reden.

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Neue Etappe auf dem Weg von Church and Peace

Seminar mit Friedensarbeitern aus dem Balkas

Marie-Noëlle von der Recke

Katholiken, Baptisten, Pfingstler, Methodisten – ein Orthodox. Ein Priester, mehrere Pastoren, Sozialarbeiter, Vertreter von NGOs. Alle kommen aus Südosteruropa, das seit 10 Jahren von aufeinanderfolgenden Kriegswellen be/getroffen wurde: Kroatien, Bosnien, Kosovo, Serbien, Mazedonien. Sie engagieren sich alle seit Jahren in Wiederaufbau- und Versöhnungsarbeit in ihrem Land. Ihnen hat Church and Peace einen wesent-lichen Moment in seiner Geschichte zu verdanken.

Seit Jahren bestehen in dieser Krisenregion Partnerschaften zwischen ihnen und Mitgliedern von Church and Peace. Die dort geleisteten Dienste sind unter-schiedlicher Art: Humanitäre Hilfe, Mediation, Empfang und Betreuung von Flüchtlingen, Bildung neuer Arbeitsplätze, Wiederaufbau. Im Laufe der Jahre sind Arbeitsbeziehungen und Freundschaften entstanden über die Grenzen hinweg, ohne jegliche Berücksichtigung der Grenzziehungen, die von der öffentlichen Meinung und den Regierungen akzeptiert worden sind – die Not hat keine Staatsangehörigkeit und das Wohlwollen kennt keine Grenzen.

So erschien es nach zehn Jahren selbstverständlich, diese Beziehungen mittels eines Treffens zu verstärken, bei dem Menschen sich (wieder)finden, aufatmen, eine Bestandsaufnahme machen und gemeinsam der Zukunft der Friedensarbeit ins Auge schauen könnten. In Elspeet – Niederlanden fand vom 24. Bis 29. April dieses Jahres diese Begegnung in zwei Phasen statt, zunächst drei Tage lang als kleineres Seminar, im Anschluß daran als inter-nationale Tagung für Mitglieder und Freunde des Netzes aus ganz Europa.

Die Gespräche verliefen nicht alle ohne Schwierigkeiten... Dem Versuch von Aleksandar Birvis, Pastor und Schriftsteller aus Belgrad, die Gründe für das Drama auf dem Balkan zu analysieren, folgte eine sehr kritische Diskussion, welche die ganze Komplexität der vergangenen Ereignisse verdeutlichte, sowie die zu leis-tende Arbeit, die nötig sein wird, um Mythen zu überwinden und Wunden zu heilen. Die Kritik an der Haltung der offiziellen Kirche war für den orthodoxen Priester schwer zu ertragen; sein Bericht zu den Leiden seiner Kirche und des serbischen Volkes riß die Wunden der albanischen Pastorin aus dem Kosovo neu auf. Es wurde auch die schwierige Beziehung zwischen den evange-lischen Kirchen und den Kirchen der traditionellen Konfessionen angesprochen: Sind Erstere ein Faktor der Einheit oder der Trennung? Wie können sie ihr Existenzrecht in einer dem Pluralismus mißtrauenden Umgebung behaupten?

Die Beiträge von Joe Campbell, presbyterianischem Mediator aus Nordirland, der seit 30 Jahren in diesem anderen inter-religiösen Konfliktherd Versöhnungsarbeit leistet, brachte den Teilnehmern wohltuendes Aufatmen. Er berichtete von den Bedingungen, die zur Ver-söhnungsarbeit in Nordirland nötig sind, von schon geleisteten Schritten, und vom Beitrag der Kirchen zum Friedensprozeß. All das von ihm Erwähnte läßt sich nicht automatisch auf die Lage auf dem Balkan übertragen, jedoch macht seine Erfahrung aufmerksam für grundlegende Wahr-heiten, die sowohl Frucht von Erfahrung sind als auch Hoffnungsträger: die Menschen sind nicht statisch, sie verändern sich....

Die Friedensarbeit ähnelt einem Hausbau, bei dem verschiedene Aufgaben für verschiedene Menschen auf unterschiedlichem Niveau anfallen. Um den Erfolg des Friedensprozesses zu gewährleisten, müssen alle Bereiche der Gesellschaft beteiligt sein, die Wirtschaft, die Politik, die Kirchen. An die Kirchen richtet er seine Herausforderung: “Hört damit auf, nur von euren eigenen Bedürfnissen zu sprechen, es geht doch um diejenigen aller Konfliktparteien! Traut euch, Risiken einzugehen, wagt das Engagement! Resigniert nicht in Routine und Apathie! Betrachtet die Friedensarbeit nicht als eine Option unter vielen, sondern seht sie als Bestandteil der Botschaft des Evangeliums!” und schließlich: “Die Friedensarbeit besteht aus Handlungen und Worten, aber auch aus Stille: Das Gebet ist wesentlich für jeden Menschen, der für den Frieden arbeitet...”

Einige Teilnehmer aus Westeuropa nahmen an dieser kleineren Begegnung teil und begleiteten sie vorwiegend durch ihr Zuhören und die Moderation der Gebetszeiten; sie freuten sich daran, daß die Freunde aus dem Balkan entschlossen sind, den Kampf nicht aufzugeben. Sie waren offen für die Tatsache, daß das Eingreifen ihrer eigenen Regierenden die Probleme nicht gelöst, sondern lediglich verschoben, die Anzahl der Opfer vermehrt und höchstens einen extrem brüchigem Nichtkrieg-Status zustande gebracht hat.

Es wäre verfrüht, bereits ein Fazit zu ziehen. Aber die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind wieder zu Hause, reicher geworden durch eine Adressenliste, durch neue Freundschaften und neue Arbeitspartner. Die Serben haben die Mazedonier eingeladen, von ihrer Erfahrung in der Logistik bei der Flüchtlingshilfe zu profitieren, als die Welle der kriegerischen Gewalt nun auch in Mazedonien sich zu verbreiten begann. Der orthodoxe Priester aus Belgrad weiß, daß er auf die baptistischen TeilnehmerInnen und deren Partner weltweit bei der Unterstützung der Hilfsprojekte seiner Kirche zählen kann. Professor Birvis hat sich mit Büchern zur Theologie der Versöhnung für das Theologieinstitut in Novi Sad eingedeckt. Die Kosovoalbanerin Bukuria, die, obwohl der Krieg wütete, ihr Land nicht verlassen hatte, weil sie im Gebet den Ruf Gottes ver-nommen hatte, an Ort und Stelle für ihr Land einzutreten, und die sich bereits 1999 das Wort des Propheten Jesaja “Man wird dich Ausbesserer von Breschen nennen” (Thema der Begegnung in Elspeet!) zu eigen gemacht hatte, hat Worte der Vergebung für das serbische Volk ausgesprochen...

Für Church and Peace, der lediglich diese Begegnung auf neutralem Gebiet ermöglicht hatte und dabei einen Raum für diesen nach Meinung der Teilnehmer so notwendigen Dialog schuf, ist dieses Treffen ein neuer Meilenstein auf seinem Weg. Die Wirklichkeit des interethnischen und interreligiösen Krieges hat Christen ohne friedenskirchliche Tradition dazu herausgefordert, Friedens- und Versöhnungsarbeit zu tun. Es ist eine Freude, sie als Freundinnen und Freunde des friedenskirchlichen Netzes zu zählen.

Übersetzung: Silvia von Verschuer

--Die letzte Nummer der Reihe “Theologie und Frieden” enthält einen detaillierten Bericht zu diesem Seminar und die ungekürzten Beiträge von Aleksandar Birvis und Joe Campell. Das Heft ist bei der internationalen Geschäftsstelle von Church & Peace erhältlich (2,55 Euro / 5 DM).

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“Aufwecker” sein

Church & Peace Mitgliederversammlung

von einem Bericht von Christa Voigt

Mit diesem Bericht verabschiedet sich Christa Voigt aus der 13-jährigen Mitarbeit für die deutschen Quäker bei Church and Peace (C&P). C&P dankt Christa herzlich für ihr langjähriges Engagement und hofft auf ein bal-diges Wiedersehen!

Die Church and Peace-Mitgliederversammlung in diesem Jahr war eingebettet in ein Seminar der Begegnung von Menschen aus der Balkanregion mit Mitgliedern des C&P-Netzes zum Austausch von Erfahrungen in der Friedens- und Versöhnungsarbeit und der inhaltlichen Tagung mit dem Titel “....man wird dich das Volk nennen, das die Bresche ausbessert”.

So ging es insgesamt nicht nur um sachliche Arbeit, sondern vor allem um Begegnung. Die ganze Tagung war ein Beitrag zur ÖRK-Dekade zur Überwindung von Gewalt.

Wichtige Tagesordnungspunkte der Mitglieder-versammlung waren:

Bericht vom Vorstand und aus der Geschäftsstelle, wo sich im letzten Jahr vieles verändert hat durch das Ausscheiden von Christian Hohmann als Geschäftsführer.

Marie-Noëlle von der Recke sagt in ihrem Bericht als Geschäftsführerin: “Die Dekade zur Überwindung von Gewalt ist eine einzigartige Gelegenheit für uns, einander in unserer Berufung zu bestärken, den Christen aller Couleur unsere Vision vorzustellen und den Anfragen nachzukommen in Bereichen, wo wir Kompetenz vorzuweisen haben”. Sie weist hin auf die ermutigenden Akzente in dem Hirtenwort der deutschen Bischöfe “Gerechter Friede” und in den Aussagen der evangelischen Bischöfin Margot Käßmann in ihrem Buch zur Dekade zur Überwindung von Gewalt, die unseren Über-zeugungen sehr nahe kommen.

Neue Mitglieder: drei Einzelmitglieder und zwei kor-porativen Mitglieder wurden aufgenommen. Das be-deutet erfreulichen Zuwachs.

• Die Communität Christusbruderschaft Selbitz wurde 1948 gegründet. Die Kommunität ist evangelisch und lebt nach den evangelischen Räten von Armut, Keuschheit und Gehorsam. Die Mitglieder des Dritten Ordens leben über Deutschland verstreut. Die Schwestern von Selbitz sehen sich durch die in der Gesellschaft vorhandene Gewalt herausgefordert und möchten Church and Peace beitreten, um einer Gemeinschaft von Kommunitäten und Gruppen anzugehören, die zur Bewältigung von Gewalt durch aktive Gewaltfreiheit beitragen wollen.

• Friends House Moscow (Quäkerhauses Moskau) wurde 1996 gegründet. Das Team des Quäkerhauses Moskau, Sergei Nikitin und Galina Orlova, gewährleisten eine quäkerische Präsenz, bieten ihre Gastfreundschaft an und richten das quäkerische Zeugnis auf praktische Art und Weise aus, z.B. durch Hilfe für Kaukasusflüchtlinge oder die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen. Freiwillige haben sich für die Arbeit mit behinderten Kindern organisiert. Finanzielle Hilfe wird unterschiedlichen Vorhaben gewährt, z.B. dafür, jungen Menschen, die in Kinderheimen aufgewachsen sind, den Übergang in ein unabhängiges Erwachsenendasein zu erleichtern. Zu den Prioritäten zählt ebenfalls das Projekt Alternativen zur Gewalt.

• Roel Meihuizen ist Mitglied der Niederländischen Mennonitischen Friedensgruppe. Er ist u.a. in der Hilfsarbeit auf dem Balkan, besonders in Bosnien, engagiert und hat am C&P-Seminar mit Menschen aus den Balkan teilgenommen.

• Bruno und Heidi Sägesser-Rich sind vielen im Netz von Church and Peace wohlbekannt. Öfters hatten sie bei C&P-Tagungen das Schweizerische Mennonitische Friedens-Komitee (SMFK) vertreten. Die Sägessers sind nun nicht mehr im SMFK, jedoch aktiv im Friedenszeugnis und möchten zur Arbeit von Church and Peace nach Maßgabe ihrer Kräfte bei-tragen. Bruno wurde zum Beisitzer im C&P-Vorstand gewählt.

• Moises Mayordomo ist spanischer mennonitischer Theologe. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Assistent an der Universität Bern behandelt er “Friedensthemen” aus der Sicht des Neuen Testaments. Seine Mitarbeit in der Mennoniten-gemeinde Bern im Bereich Katechese hat Friedenserziehung als Schwerpunkt.

Finanzen

Wie in jedem Jahr eine “Zitterpartie”, da ein großer Teil der Ausgaben aus Spenden gedeckt wird, und das sind unzuverlässige Einnahmen. Wenn wir die wich-tige und durch die Mehrsprachigkeit aufwendige Büroarbeit aus den Mitgliederbeiträgen bezahlen wollten, müßten die Beiträge angehoben werden. Doch möchte man niemanden verschrecken, vor allem die relativ mittellosen Kommunitäten nicht, die aber durch ihr klares Zeugnis einen wichtigen Beitrag leisten. So wurde von diesem Schritt abgesehen. Wir haben uns dafür entschieden, die Risiken hoffnungs-voll auf uns zu nehmen und dabei wachsam zu bleiben. Es soll weiterhin an Ideen zur Einsparung gearbeitet werden wie z.B. Übersetzungen an Mitglieder zu delegieren, mehr Projektarbeit zu planen, um leichter Zuschüsse zu bekommen, Mitglieder nach Laufdorf zum befristeten Büroeinsatz einzuladen und weiter zu versuchen, einen Teil der Verwaltungsaufgaben durch einen Pfarrer im Sonderdienst des Kirchenkreis Braunfels von der Rheinischen Landeskirche übernehmen zu lassen. So fehlt im Augenblick nicht nur eine deutschsprachige Kraft, sondern auch ein Bindeglied zu den evangelischen Kirchen und zur Region von Laufdorf.

Wahl eines neuen Nominierungsausschusses

Bei der Vorstellung des neuen Ausschusses fiel auf, dass unter 5 Personen nur eine Frau war und der Verdacht geäußert wurde, dass in der Folge ver-mutlich zu wenig Frauen für den Vorstand nominiert würden. Ich konnte diesen Verdacht nicht teilen, denn der Ausschuß hatte genügend Frauen gefragt, und alle hatten abgesagt.

Es wurde spontan eine Frauenversammlung einberu-fen, um Frauen zu befragen, warum sie sich manche Aufgaben nicht zutrauen. Leider war die Zeit zu kurz, aber der Ansatz gut, denn in diesem Rahmen war die Meinung der Frauen einmal ausdrücklich gefragt. So meinten viele Frauen, dass sie bestimmte (männliche) Fähigkeiten haben müßten, um z.B. im Vorstand zu arbeiten.

Berichte aus den Regionen

Es folgten die Berichte aus den verschiedenen Regionen. Die Regionalkonferenz im Jahr 2002 in Großbritannien und Irland wird vom 14. bis 16. Juni als gemeinsam mit der Anglican Pacifist Fellowship gehaltene Tagung mit dem Thema “Unbewaffente Friedensarbeit” veranstaltet. In Osteuropa liegen die Schwerpunkte u.a. in der Erstellung und Betreuung der C&P-Website und der Veröffentlichung von C&P-Drucksachen sowie eines Friedenskalenders auf Ungarisch. 2001 wird als zusätzliche Veranstaltung ein Seminar über Friedenserziehung durchgeführt. Die nächste frankophone Regionalkonferenz wird sich mit dem Thema “Gewalt gegen die Schöpfung” befas-sen (Datum und Ort stehen noch nicht fest). Die deutschsprachige Regionaltagung in 2002 wird vom 18. bis 20. Oktober zusammen mit der Herbsttagung von DMFK stattfinden.

Der Bericht des Vorstandes schließt mit folgenden Worten: “Soviel ich weiß, sind wir das einzige europa-weite ökumenische Netz. Laßt uns dieses Geschenk festhalten, diese Frucht der Arbeit und der Ausdauer unserer Vorgänger!... Ich glaube, dass wir “Aufwecker” sind in unseren Gemeinschaften, Gemeinden, Kirchen und Gruppen..... unsere Überzeugungen sind verankert genug, um dauerhaft zu sein, und ermög-lichen eine gemeinsame Hoffnung und die Freude über die Gottesgabe des Friedens!”

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Gewaltlosigkeit oder Die Kraft der Liebe

Mit der Communität Christusbruderschaft unterwegs

Sr. Barbara Müller & Sr. Susanne Schmitt

Unserem Entschluss Mitglied bei Church and Peace zu werden geht ein Weg voraus, der an dieser Stelle beschrie-ben werden soll. Doch zunächst einmal möchten wir uns als Gemeinschaft vorstellen.

Wer sind wir?

Die Communität Christusbruderschaft Selbitz ist ein evangelischer Orden innerhalb der lutherischen Kirche und wurde 1949 durch Hanna Hümmer und Pfarrer Walter Hümmer gegründet. In Selbitz bei Hof / Oberfranken hat die Gemeinschaft ihr Zentrum.

Die Mitglieder haben eingestimmt in eine verbindliche, lebenslange Gemeinschaft, um zusammen ein Zeugnis für Gott zu sein. In Christus zur Gemeinschaft geeint, wollen wir den Spuren seines Lebens folgen, die in den Evangelien zu finden sind. Mit den sogenannten “Evangelischen Räten” (d.h. Armut, Keuschheit, Gehorsam) stehen wir in der monastischen Tradition der einen christlichen Kirche.

Zur Gemeinschaft gehören 116 Frauen und 6 Männer. Dazu gehört eine Tertiärgemeinschaft. Es sind Männer und Frauen, die verheiratet oder ledig an verschiedenen Orten in ihren Berufen als Christen in der Welt wirken.

Die Bereitschaft und die Kraft zu einem Leben in Gemeinschaft und im Engagement für die Mitmenschen wächst aus einer liebenden Gottesbeziehung. Die täglichen drei Gebetszeiten, die persönliche Stille über dem Wort Gottes, Gottesdienste und die Feier des Abendmahles, Bibelgespräche, Exerzitien, sowie Seelsorge und Beichte sind die Quellen, aus denen sich unser Glaube nährt.

Seit der Gründung unserer Gemeinschaft ist mit “Leiturgia” (Gebet), “Diakonia” (tätige Nächstenliebe) und “Martyria” (Verkündigung) ein Dreiklang des Dienstes angestimmt. Erster und grundlegender Dienst ist das Gebet in der Spannweite zwischen der Anbetung Gottes und der konkreten Fürbitte für die Menschen und Situationen. Der diakonische Dienst an alten und kranken Menschen ist ein weiterer Schwerpunkt in unserem Orden. Daneben arbeiten einige Schwestern auch mit Kindern und Jugendlichen. Zur Diakonie im umfassenden Sinn gehört für uns auch Gastfreundschaft und der konkrete Einsatz für Liebe und Versöhnung. In allem missionarischen und seel-sorgerlichen Dienst geht es um die Einladung Gottes zu einem Leben im Vertrauen. Darum bieten wir durch Freizeiten, Seminare und Retraiten Möglichkeit zur Vertiefung des Glaubens an. Die Verkündigung geschieht auch durch künstlerisches Schaffen: Meditationsbilder, die Ausgestaltung von Kirchen und öffentlichen Räumen sowie durch Bücher, Karten und Lieder in einem eigenen Buch- und Kunstverlag.

Im Zentrum der Communität in Selbitz leben eine grofle Zahl der Schwestern im Ordenshaus, Gästehaus, Walter-Hümmer-Haus (Alten- und Pflegeheim) und im Arzthaus. Weitere Konvente mit Gästearbeit sind Kloster Wülfinghausen bei Hannover, ‘Hof Birkensee’ bei Nürnberg und der Petersberg bei Halle/Saale (Brüdercommunität). Einige Schwestern leben in Stadtkonventen z.B. in Magdeburg, Bayreuth und München. Auflerdem bereiten wir eine Sendung von Schwestern nach Simbabwe vor, nachdem ein Konvent dreizehn Jahre bis 2000 in der Mission in Botswana tätig war.

Erfahrungen mit Gewalt und gewaltfreiem Handeln

Es gibt keine gemeinsame Erfahrung der ganzen Communität zum Thema Gewalt. Je nach eigener Herkunft, Beruf und momentaner Sendung sind die Erlebnisse sehr unterschiedlich. Sie reichen von Erfahrungen von Mobbing am Arbeitsplatz über die Diskriminierung von Asylbewerbern bis zu der Gewalt, die Jugendliche und Kinder in ihren Familien erleben und selber auch ausüben. Schwestern, die als Seelsorgerinnen, Ärztinnen oder Krankenschwestern arbeiten, werden oft auf unterschiedliche Weise mit erlittener Gewalt konfrontiert.

Von 1997 bis 1999 lebte in unserem Ordenshaus ein türkisch-kurdisches Ehepaar im Kirchenasyl mit uns. In dieser Zeit hatten wir Verbindung zum bayrischen Kirchenasylnetz. Hier ging es ganz praktisch um den Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung bei Aktionen und zivilem Ungehorsam. Auf diesem Weg lernte eine unserer Schwestern Frau Hildegard Goss-Mayer vom internationalen Versöhnungsbund kennen. Wir luden sie zu einem Seminar in unsere Communität ein, bei dem sie über gewaltfreies Handeln und zivilen Ungehorsam sprach: Eine Grundannahme sei, das die Kraft der Gewaltfeiheit in jedem Menschen liege. Reaktionen auf Gewalt seien oft Schweigen und Nichtstun, die jedoch Unrechtssituationen unterstützen würden. Der aktive Versuch Unrecht durch Gegengewalt zu überwinden rufe neue Gewalt hervor und verhindere letztlich die Versöhnung. Bei der aktiven Gewaltfreiheit gehe es nicht darum, den anderen sondern das Unrecht zu besiegen. Ziel sei die Versöhnung zwischen denen, die Unrecht tun und denen, die Unrecht erleiden. In der Gewaltfreiheit seien Mittel und Ziel eins. Frau Goss-Mayer zeigte Methoden zu gewaltfreiem Handeln und Möglichkeiten für einen Dialog auf.

Uns wurde deutlich, wie sehr die Mitverantwortung jeder einzelnen gefordert ist, sich auf diesen Weg der Gewaltfreiheit zu begeben. In der Folgezeit schauten wir unser eigenes Verhalten in Konfliktsituationen an und versuchten gemeinsame Schritte zu gehen und zu lernen. Aus den Erfahrungen unseres gemeinsamen Weges und dem gleichzeitigen Erleben von zunehmender Gewaltbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft entstand in unserer Gemeinschaft das Jahresthema für 2001:

Gewaltlosigkeit oder Die Kraft der Liebe

In unseren einmal im Jahr statt-findenden Communitätstagen, an denen sich die gesamte Communität trifft, vertiefen wir u.a. dieses Jahresthema. Dazu luden wir in Januar 2001 Ehepaar von der Recke nach Selbitz ein. Sie stellten uns die Arbeit von Church and Peace vor. Frau von der Recke vermittelte uns einen Überblick über den Begriff ‘Versöhnung’ im Alten und Neuen Testament. Herr von der Recke gab uns eine Einführung zum Thema ‘Gewaltfreie Kommunikation’ und verdeutlichte dies durch praktische Übungen, die wir machten.

Wir fassten den Entschluss, dem Netzwerk von Church and Peace beizutreten Wir glauben, dass gewaltfreies Handeln auch gemeinschaftliches Handeln ist und dass wir uns gegenseitig als Gemeinschaften und Kirchen stärken können.

Als Communität sind wir aufgefordert, einen Weg in der Nachfolge Jesu zu gehen. Dies bedeutet, sich für ein Leben in Gewaltfreiheit zu entscheiden. In unserer Regel ist dies in dem Abschnitt Kreuznachfolge verankert: “Jesus hat nie die Konsequenzen der Nachfolge verschwiegen. Er wurde geschlagen, gefoltert, getötet, doch er schlug nicht zurück. Auch seine Jüngerinnen und Jünger lädt er ein, sich für ein Leben in Gewaltfreiheit und Feindesliebe zu entscheiden.” (Regel der Communität Christusbruderschaft Selbitz, S. 19)

Als Gemeinschaft bieten wir jedes Jahr einen Tag mit einem thematischen Schwerpunkt für Menschen aus der Umgebung an. In diesem Jahr haben wir hier ebenfalls das Thema Gewaltlosigkeit aufgenommen.

Unsere Priorin Sr. Anna Maria aus der Wiesche hat als Vorschlag zur persönlichen Weiterarbeit mit diesem Thema Alltags-Exerzitien geschrieben. Von Aschermittwoch bis Sonntag nach Ostern sind wir als Gemeinschaft weitere Schritte auf diesem Weg gegangen.

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Stimme des Volkes oder Stimme Gottes?

Btr: offenen Brief der Synode der Mazedonischen Orthodoxen Kirche an den Staat

Kosta Milkov & Mirco Andreev

Angesichts des Schreckens vom 11.9.2001 und seiner Folgen drohen alle anderen Konflikte in Vergessenheit zu geraten. So ist die Lage in Mazedonien nach wie vor gespannt. Eine wirkliche Lösung ist trotz verlängerten Militäreinsatzes, jetzt unter Führung der deutschen Bundeswehr, nicht in Sicht.

Unter den Teilnehmern beim Balkanseminar von Church and Peace im April in Elspeet/NL war auch Mirco Andreev, Pastor der Pfingstgemeinde in der Hauptstadt Skopje in Mazedonien. Er ist Mitautor einer bemerkenswerten Erklärung. Sie nimmt Stellung zu einem Ende Juni veröffentlichten Dokument der “Heiligen Synode der Mazedonischen Orthodoxen Kirche”. Darin wurde u.a. versichert, Gottes Gebot werde nicht verletzt, wenn man zur Verteidigung des Vaterlandes töte. – Die Leitung der Pfingstgemeinden hat ihre Gemeinden und Pastoren ermutigt, sich gegen Hass und Nationalismus, gegen das Töten einzusetzen, auch entsprechend zu predigen. Sie sieht ihr Zeugnis als Beitrag zur friedlichen Lösung des Konflikts. All dies geschieht nicht aus sicherem Abstand, sondern in Gemeinden mitten im Konfliktgebiet. Oft bleibt nach Mircos Aussage als einziges Handeln das Gebet.

Die Gedanken der beiden pfingstkirchlichen Theologen haben eine überraschende Aktualität auch für die “theo-logischen” Rechtfertigungen von Gewalt und Gegengewalt seit dem 11.9.01.

Wolfgang Krauß

Der offene Brief der Synode der Mazedonischen Orthodoxen Kirche (MOK) an den Staat gibt uns Gelegenheit, nach der Rolle der Kirche in der Politik zu fragen.

Die Menschwerdung Gottes ereignete sich zu einer Zeit, als das Territorium Israels durch das Römische Reich besetzt war. Die Hebräer waren mit dieser Situation sehr unzufrieden, und für eine Mehrheit unter ihnen galt das angekündigte Kommen des Messias, des Gesalbten Gottes, als einzige Hoffnung. Er würde, so glaubten sie, mit seinen übernatürlichen Fähigkeiten und seinem Charisma das Joch des Römischen Reiches brechen.

Jesus hatte beides in Fülle. Sein tragischer Tod am Kreuz jedoch, eine Folge seiner Taten und seiner Lehre, zeigt uns, dass er insgesamt die Erwartungen Israels nicht erfüllte. Im Gegenteil, er wurde als extreme Gefahr für das Volk gesehen. Um ihn loszuwerden, wurde er angeklagt, genau das getan zu haben, was er so klar verweigerte: eine Rebellion gegen Rom anzuführen. Dies hätte der Erwartung seines Volkes entsprochen.

Welche Erwartungen hat die MOK? Sie scheint Stimme des Volkes sein zu wollen. Doch sollte sie nicht Stimme Gottes sein? Eine Stimme, die unserem Volk die Hauptbotschaft des Evangeliums bewusst macht: Befreiung von der Sünde und den Ketten Satans. Wie lange will die MOK ihre Autorität im Volk auf ihre Rolle als Bewahrerin der nationalen Identität der Mazedonier gründen? Statt in der Sprache des Ethnozentrismus zu sprechen, Nationalismus mit religiösen Überzeugungen zu vermischen, sowie Mazedoniertum und Orthodoxie gleichzusetzen, hat die Kirche die Verantwortung, das Volk aufzurütteln durch eine Botschaft der Buße und Umkehr. Wie Jesus würde sie damit jedoch das Risiko eingehen, abgelehnt zu werden. Jesus wurde verworfen, weil das Volk es nicht akzeptieren wollte, dass er ihre Sünde verurteilte.

Die Synode der Mazedonisch Orthodoxen Kirche “appelliert” an die Staatsführer ihren “Eid” zu halten. Der Amtseid beinhaltet den Einsatz dafür, dass die Republik Mazedonien ihre gegenwärtige Verfassung und territoriale Integrität behält. Was würde Jesus dazu sagen? Wahrscheinlich würde er an folgende Worte seiner Bergpredigt erinnern: “Schwört überhaupt nicht!” Matthäus 6, 34. Oder er würde auf das Alte Testament verweisen: “Verflucht ist der Mann, der auf Menschen vertraut ...” Jeremia 17, 5. Lasst uns nicht vergessen, dass auch politische Führer Menschen sind. Was wir brauchen, ist die Stimme Gottes und nicht ein Echo der Stimme des Volkes.

Es überrascht nicht, dass Premierminister Georgievski den Brief der Mazedonisch Orthodoxen Kirche als grünes Licht versteht, “für gerechte Ziele zu töten”. Der Premierminister jedoch ist Politiker nicht Priester. Es ist seine normale Rolle, für das Volk zu sprechen. Und doch darf er dem Volk nicht Gott als Bündnispartner gegen den Feind anbieten.

Das Neue Testament formuliert die christliche Haltung gegenüber der Gewalt sehr deutlich. Es spricht freimütig von der “Schwachheit und Torheit des Kreuzes” das gegen die “Macht und Weisheit der Welt” steht, und in Wirklichkeit doch Gottes rettende Weisheit ist. 1. Korinther 1, 18ff. Wer Jesus wirklich nachfolgt, braucht nicht die Weisheit der Welt. Als Nachfolger Jesu müssen wir unsere gesellschaftliche Verantwortung erfüllen: Gutes tun und uns immer für Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzen. Niemals dürfen wir Gewalt anwenden oder uns auf die Seite der Gewalt stellen, während wir doch in Gottes Hand sind.

Es ist an der Zeit, dass die christlichen Führer Mazedoniens aufhören, sich wie Politiker zu benehmen, die das Ohr an den Wünschen des Volkes haben, um dessen Erwartungen herauszufinden. Wohl sollten sie Führung beweisen! Doch sollten sie dies als Führer der Kirche tun.

Es ist an der Zeit, dass wir als Christen unsere Loyalität Gott versprechen, und zwar Gott allein.

Übersetzung: Wolfgang Krauß

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Auf dem Weg zu Frieden und Versöhnung in Südost-Europa

Ein Projekt zur Förderung von Frieden und Versöhnung in Südost-Europa ist Ende Februar ins Leben gerufen worden. An der Spitze dieser neuen Initiative steht Europas führende ökumenische Kirchenorganisation, die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). Das Projekt wird ein Bestandteil des dreijährigen Programms sein, das von der Ökumenischen Partnerschaft für Südosteuropa (SEEEP) des Ökumenischen Rates der Kirchen begonnen wurde, um Gemeinden, kirchliche Hilfswerke und NGOs zu ermutigen und unterstützen, zum Aufbau von Vertrauen und Frieden und zur Förderung des Prozesses der Versöhnung in den betroffenen Länder beizutragen.

Zu den Schwerpunkten der Arbeit der SEEEP-Projekts “Hub“ (Brennpunkt) für Frieden und Versöhnung gehören die Förderung und Verbesserung des interreligiösen Dialogs, die bessere Koordinierung zwischen örtlichen Bedürfnissen und internationaler Hilfe, das Bereitstellen von Fachwissen zur Errichtung des rechtlichen Rahmens für die Arbeit von Religionsgemeinschaften in der Region und die Hilfe beim Ausräumen von Missverständnissen und bei der Verbesserung von Kommunikation und Zusammenarbeit in der Region.

“Es hängt nicht von uns in der KEK ab, alles zur Erfüllung dieser Aufgabe zu tun“, sagte KEK-Generalsekretär Keith Clements, “sondern wir müssen die Zusammenarbeit mit Kirchen, Hilfswerken, kirchlichen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen, die bereits in dieser Arbeit engagiert sind, fördern, sie unterstützen und auf den in der Region verfügbaren Ressourcen aufbauen.“

Bei einer Tagung mit Kirchenvertreterinnen und Vertreter aus dem Balkan wurde die Notwendigkeit einer systematischen theologischen und soziologischen Forschungsarbeit betont, um die Information und Grundlage für Friedensinitiativen zu liefern.

“Dies ist erst der Anfang eines langen Prozesses“, sagte Rüdiger Noll, der KEK-Koordinator für das Projekt. “Ich glaube, dass sich uns andere im Laufe des Prozesses noch anschliessen können. Wir verpflichten uns dazu, nicht das zu über-nehmen, was bereits geschieht, sondern eine zusätzliche Dimension hinzuzufügen“, schloss er.

Aus KEK-Pressemitteilung 01/08, 15. März 2001

Church and Peace ist assoziiertes Mitglied bei der KEK.

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Wiederaufbau, aber wie?

Reiseeindrücke

Marie-Noëlle von der Recke

Bei näherer Betrachtung der Geschichte von Church and Peace fällt auf, daß diese Bewegung in den Trümmern Europas entstanden ist. Das Fehlen eines eindeutiges Friedenszeugnis aller Kirchen im dritten Reich und im zweiten Weltkrieg bildete den Hintergrund für den Dialog zwischen unseren Vorreitern, aus dem das europäische ökumenische Netz der Friedenskirchen und –kommunitäten erwachsen ist. Parallel zum Wiederaufbau Europas wurde dieses Netz ausgebaut zu dem, was es heute ist: zerbrechlich, aber lebendig, von Spanien bis nach Moskau!

Die Kontakte zu den Christen aus der Balkanregion anläßlich der Tagungen des letzten Frühjahrs in den Niederlanden lassen die Frage aufkommen, ob sich diese verwundete Gegend nicht in einer ähnlichen Lage befin-det, wie damals, als unser Netz entstand. Auf dem Balkan werden die Kirchen zum Teil als Hindernisse auf dem Weg zum Frieden angesehen und es gibt sehr starke Argumente, um diese These zu untermauern. Die verhängnisvolle Verbindung von nationaler Identität und religiöser Zugehörigkeit hat zur Zerrissenheit einer Gesellschaft beigetragen, als diese bereits in der Krise steckte, und sie ist immer noch wirksam.

Die Begegnungen in Elspeet sowie die Kontakte, die unsere Mitglieder seit mehr als zehn Jahren auf dem Bal-kan pflegen, haben uns jedoch Männer und Frauen entdecken lassen, deren Bestrebungen den unseren sehr nahe kommen: Christen, die ihren Glauben und ihre Gaben in den Dienst der Versöhnung und des Wiederaufbaus der Gesellschaft stellen. Sie haben es abgelehnt, in die aufgezwungen Schemata des umliegenden Sektierertums einzutauchen. Durch ihre Arbeit in Hilfsprojekten für jedwede Person in Not, sowie durch Kurse in gewaltfreier Konfliktbewältigung handeln sie, damit “die Wege wieder bewohnbar werden“, sowie es das Motto unserer internationalen Tagung besagte.

Zur Vertiefung der Beziehungen zu diesen neuen Freunden wurde eine Besuchsreihe für diesen Herbst und nächstes Frühjahr vorgesehen. Ich konnte den Anfang machen und hatte das Privileg, in Begleitung von Schwester Myriam – vom Orden der Salesianer und in Wethen lebende Friedensdiakonin – in die Vojvodina und nach Kroatien zu fahren.

Auf dieser Reise begegneten wir:

• Branka und Zelimir Srnec, den Verantwortlichen des Hilfswerkes Tabita in Novi Sad,

• Pater Károly Harmath der Franziskaner Gemeinde in Novi Sad,

• Aleksandar Birvis, dem Dekan der Bibelschule in Novi Sad, sowie seiner Frau und seinen Schülern,

• Harold Otto, ehemaligem Freiwilligen des Hilfswerks Mennonite Central Committee (MCC), derzeit für den Lutherischen Weltbund im Rahmen des Ökumenischen Hilfswerkes in Novi Sad tätig,

• Manda Prising, der Verantwortlichen des “offenen Clubs“ in Sombor und ihrem Mann,

• Vesna Liermann und ihren Kollegen des Zentrums für Frieden, Gewaltfreiheit und Menschenrechte in Osijek, das anfangs der 90er Jahre von Katharina Kruhonia gegründet wurde,

• Michelle Kurtz, Lehrerin an der Evangelischen Theologischen Hochschule von Osijek und Beraterin am Friedenszentrum,

• Ana und Otto Raffai aus Zagreb, Ausbilder in gewaltfreier Konfliktbewältigung im ganzen Balkan,

• Boris Peterlin, Direktor des Christlichen Informationszentrums in Zagreb und regionaler Koordinator des Rats der Europäischen Kirchen (KEK) für das Projekt “für den Frieden und die Versöhnung in Südosteuropa“.

Ohne im Detail auf jede Begegnung einzugehen möchte ich hier einige Eindrücke und Gedanken aufzeichnen, die im Laufe meiner Reise zusammengetragen wurden:

Sichtbare und unsichtbare Zerstörungen

Bei jedem Besuch haben mich paradoxe Situationen beeindruckt: Novi Sad hat in seiner Architektur nur an ganz bestimmten Punkten gelitten: die am 3. April 1999 zerstör-te Brücke hängt weiterhin in der Donau (die Bewohner sagen mit ihrem galligen Humor: “Novi Sad, die Stadt, bei der die Donau über die Brücken fließt“), das verkohlte Fernsehgebäude zeigt den Besuchern ein gespenstisches Gerippe. Dagegen fällt eine Reihe von nagelneuen Gebäuden auf. Einige sehr betuchte Flüchtlinge haben in diese eindrucksvollen Bauten investiert, die im starken Gegensatz zu der umliegenden Armut und Traurigkeit stehen. Die in der Region neu Hinzugekommenen sind nicht nur Vertriebene, die massenweise in den 90er Jahren aus Kroatien, aus Bosnien und aus dem Kosovo eintrafen, und versuchten, mühsam ein neues Dasein aufzubauen; unsere Gastgeber , die sich ihrerseits um die Ärmsten täglich bemühen meinten, dass eine neue Form des Kapitalismus auf der Basis von Geldern manchmal zweifel-hafter Herkunft entstanden sei.

In Kroatien, wo der Krieg wesentlich länger her zurück liegt, sind die Zerstörungen viel sichtbarer. Verminte Zonen werden links und rechts der Straßen mit weißen Bändern abgesichert: Vorsicht ist angesagt. Im Städtchen Vukovar überwuchert die Natur die seit 1991 zerstörten Häuser, der Anblick ist schrecklich. Einige Bauten wurden unter Wahrung des ursprünglichen architektonischen Stils wieder aufgebaut dank Zuschüssen fremder Sponsoren, aber sie vermögen es nicht, die aufgeschlitzten Mauern, die Granateinschüsse, die klaffenden Breschen vergessen zu lassen. Die Einwohner müssen sich ständig dieser Realität stellen. Eine Gastgeberin: “man muss sich vostellen, dass die Psyche dieser Menschen dem ähnelt, was wir da sehen.“

Der Besucher bleibt ratlos: dort, wo Geld ist, geht der Wiederaufbau voran, wie sollte man sich nicht darüber freuen? Was ist aber mit den innerlichen Zerstörungen? Mit der Tatsache, dass die Kinder mitten im Ergebnis der kriegerischen Gewalt aufwachsen? Die Wiederaufbauarbeit, was die Seele der Bevölkerungen angeht, scheint sehr viel schwieriger zu sein als der Wiederaufbau der Gebäude....

Einige Stunden in Zagreb zeigen eine andere Facette der Wirklichkeit in dieser Region: diese Großstadt mit ihren lauten Straßen ist ganz Westeuropa zugewandt (die bevorstehende Einführung des Euro ist Thema, McDonalds Restaurants und andere westliche Firmen machen sich breit), und sie vermittelt den Besuchern den Eindruck, dass eine neue Seite der Geschichte nun endgültig beginnt. Auf den Straßen ist wieder Leben, aber sie sind nun recht verstopft...

Hervorragende Bauleute

Die Menschen, denen wir begegnet sind, und ihre Arbeit, haben mich tief beeindruckt. In einem Kontext, wo es “logisch“ gewesen wäre, in Depression und Resignation zu verfallen, gehen Männer und Frauen (vor allem Frauen) ihre Probleme mit aufgekrempelten Ärmeln an. Die Zugänge sind unterschiedlich, aber die Absicht ist klar: es geht um Aufbau, um Wiederaufbau, in jeder Hinsicht – materielle Hilfe oder Ausbildung, Erlernen der Toleranz, Erziehung zum Frieden, geistliche Erneuerung... Die Kontakte mit den Gruppen und Personen, die in Westeuropa diese Bemühungen unterstützen möchten, sowie mit denen, die in der Region selbst dasselbe wollen, scheinen die Gründung eines Netzes vorauszusagen zwischen all jenen, welche “die Fundamente“ ihrer Gesellschaft wieder aufrichten wollen .

Anfälligkeit der Projekte

Die Tatsache, dass die besuchten Projekte nur in totaler finanzieller Abhängigkeit funktionieren, hat mich beunruhigt. Wenn große Geldgeber (Europäische Union, Soros-Stiftung, usw.) den Geldhahn schließen, stehen langfristige Projekte mittellos da... Es handelt sich aber um Projekte, deren Ergebnisse nicht zwangsläufig sofort sichtbar sind ... Der Krieg hat einen Ansturm von Solidarität ausgelöst, aber gleichzeitig Abhängigkeiten geschaffen, und dadurch eine Anfälligkeit der Wiederaufbauarbeit.

Die Kirche von morgen, noch eine Baustelle

Mit großem Interesse habe ich verfolgt, was unsere Gastgeber zum Klima in den Kirchen und zur Zusammenarbeit der Kirchen zu sagen hatten. Der Durst nach Erneuerung im Leben der Kirchen, sowie nach Dialog ist groß. Doch auch da, hat der Krieg Spuren hinterlassen. Der tiefste Graben scheint der zwischen den orthodoxen Christen und den Christen anderer Konfessionen zu sein. Anscheinend finden die kleinen evangelischen Kirchen in Kroatien viel besser ihren Platz als in Serbien. Ana Rafai ist beunruhigt über die langsame Entwicklung in ihrer (katholischen) Kirche und beschreibt diese wie eingeschlossen in einer Art Autismus, nur besorgt um ihr eigenes “Zimmer“, ohne an den Rest des “Hauses“ zu denken. Das Friedenszentrum in Osijek hat eins seiner zahlreichen Projekte einem einzigen Thema gewidmet: “Den Frieden bauen mittels der interreligiösen Zusammenarbeit“. Dieses Projekt wird von einem ökumenischen Team geführt. Alle Personen, denen wir begegnet sind, betonen, dass die einfachen Gläubigen vorpreschen, ein Gegensatz zur Langsamkeit der Institutionen.

“Was seit langer Zeit in Trümmern liegt, wird man auf deine Veranlassung hin wieder aufbauen; du wirst die Grundmauern wieder aufrichten; du sollst heißen der, der die Breschen zumauert und die Wege ausbessert, damit sie wieder bewohnbar sind.“ Diese Zusage hat uns in Elspeet und das ganze Jahr über begleitet. Sie war während dieser Reise besonders gegenwärtig. Doch eine Frage drängt sich auf: “Wiederaufbau, ja, aber wie?“

Als eine unserer Gastgeberinnen die tiefen Gründe für das Auseinanderbrechen Jugoslawiens erwähnte, sagte sie: “Man hat ein Haus ohne innere Mauern, ohne Räume bauen wollen, und dabei den Unterschieden keinen Platz zugestanden“. Diejenigen, denen wir auf unserer Reise begegnet sind, beweisen durch ihr Engagement, dass sie aus diesem “Baufehler“ gelernt haben, dass sie versuchen, auf neuen Fundamenten zu bauen. Die Zusage des Propheten Jesaja entspricht ihnen ganz besonders.

Wenn es stimmt, dass das Netz der Friedenskirchen und –kommunitäten ein paradoxes Ergebnis der Katastrophe des zweiten Weltkrieges ist, so könnte es durchaus sein, dass auch die “Ausbesserer von Breschen“ aus dem Balkan, auch sie, ein paradoxes Ergebnis einer tragischen Seite der Geschichte dieser Region sind. Beide Bewegungen haben Gemeinsamkeiten und es ist höchst erfreulich, dass sie auf dem besten Weg sind, Dialogpartner zu werden!

Übersetzung: Silvia von Verschuer

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Bücher

Church and Peace 1949-1999 : Fünfzig Jahre ökumenischer Dialog und friedenskirchliches Zeugnis

Rezension von Reinhard Voß

Die Broschüre verzichtet auf “detaillierte historische Nachzeichnung der vergangenen Jahrzehnte”, will aber “Etappen, Entwicklungen, Zielsetzungen und Erfahrungen“ mitteilen (Vorwort).

In der Tat ist davon eine Fülle sonst leicht für immer verschollener Erfahrungen miteingearbeitet. Der Zeitzeuge und Mitgestalter Wilfried Warneck ist bester Garant dafür.

So entstehen bei der Lektüre vielfach wechselnde Gefühle. Mal ist man in einen historisch präzisen Bericht eingetaucht, dann wieder hat man den Eindruck einer Familiengeschichte; es gibt Phasen frie-denstheologisch präziser Vertiefung (Kap.2 “Kennzeichen und Auftrag der Friedenskirche“), Netzwerk- und Tagungsberichte, Skizzen und Erlebnisse, poetische und visionäre Teile. Eine Fülle, deren Vielfalt aber nicht stört, sondern bereichert und anregt. Sie wird zusammengehalten durch die präzise Gliederung in die Phasen der Nachkriegszeit, des Aufbaus eines europäischen Netzes historischer Friedenskirchen (1949-1968), die Übergangsphase der “Eirene Studies and Liaison“ bis 1975 und drei Phasen seit der Namensgründung von Church and Peace: 1975-83 Netzbildung; 1983-90 Konziliarer Prozeß und ab1990 “Regionalisierung und Teilnahme an ökumenischen Versammlungen“. Dem letzten Abschnitt (S.31-40) hätten einige Unterteilungen gut getan. Ausführliche Anmerkungen (sehr hilfreich auch über Einzelpersönlichkeiten), einschlägige Literaturhinweise und ein sehr informativer und klarer Daten- und Namensanhang schließen das Buch ab.

Vorweg ein paar persönliche Bemerkungen:

Ich bin einen anderen Weg gegangen, kommend aus dem katho-lischen Milieu, allmählich erwachend in Kreisen des kritischen Katholizismus und der Laienbewegungen, des 2. Vatikanums und der Würzburger Synode (1975). Von dort stieß ich dann über ökumenische Basisgruppenarbeit auf den Laurentiuskonvent und Church and Peace, bevor ich beim hauptamtlichen Aufbau des Schalomdiakonates erst die historischen und theologischen Hintergründe allmählich erfasste, die zu dieser Initiative führten. Nun hoffe ich, als neuer Pax Christi-Generalsekretär viele dieser Impulse vertiefen zu können. Seit “Assisi ‘88“ (“Europäischer Ökumenischer Dialog; 1988) habe ich mich als Teil dieses ökumenischen Stranges begriffen, der im Konziliaren Prozeß dann enorm fruchtbar und mein eigenes Engagement zentral bestimmend wurde.

Ich habe kürzlich – beraten durch Wilfrid Warneck – einen Abriss der “Geschichte der Friedensdienste in Deutschland“ gegeben (in: Evers: Ziviler Friedensdienst, Opladen 2000). In der Diskussion mit Warneck wurde mir erst klar, wie unterschiedlich Friedensbewegung und Friedens- bzw. Freiwilligendienste waren. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten haben sie sich angenähert. Der vorliegende Beitrag erscheint mir als wichtige parallele Ergänzung dazu – zumal er gerade die Aspekte und Geschichte der Friedensbewegung(en) weitgehend ausklammert.

Man kann nun also bedauern, dass z.B. die AGDF nur am Rande vorkommt, obwohl Church and Peace dort Mitglied ist (S.34 und Anm. 50 etwa), zumal die AGDF ja gerade Anfang der 80er Jahre – zusammen mit der Aktion Sühnezeichen - eine der Hauptträgerinnen der Friedensbewegung wurde. Man kann vermuten, dass es da eine grundsätzliche Distanz zur säkularen Friedensbewegung gibt; wenn es z.B. heißt, dass das DMFK “nicht einfach unkritisch in der Friedensbewegung mitmachte“ (S. 20). Man kann sich fragen, wieso der Pflugscharfonds trotz großer Namen aus den Friedenkirchen sich nicht durchsetzen konnte: hatte es vielleicht mit dieser Öffentlichkeits-, Gesellschafts- und Politikferne der Friedenskirchen, Kommunitäten und Basisgruppen zu tun ?!

Wenn man die Öffentlichkeits-, Gesellschafts- und Politiknähe der großen Kirchen gewohnt ist, erscheint die Rückschau hier freilich etwas eng, und man vermisst manche Bezüge zur politischen Gesellschafts- und ökumenischen Kirchenentwicklung – abgesehen von verschiedenen Querverweisen auf Ereignisse und Großkon-ferenzen. Die Autoren beschreiben dieses Phänomen selbst indirekt am Schluss, wo sie die friedenskirchliche Ökumene als “etwas Schwebendes und Verletzliches“ bezeichnen und auf “dieses leichte Netz“ verweisen, das schnell zerreißen könne, aber gleichzeitig die “Kreativität sprudelnder Lebendigkeit“ habe.

Aber man täte der Schrift Unrecht, wenn man nicht gerade die fruchtbare Hintergrundtätigkeit dieses friedenskirchlichen Netzwerkes begriffe, denn genau das macht sie deutlich. Viele Ökumeniker sind durch dieses Netz und seine Konferenzen, Kommissionen und Publikationen stark angeregt und ermutigt worden. Die Church and Peace – Bewegung ist wie die ökumenische Bewegung überhaupt (das hat Werner Simpfendörfer in Bezug auf letztere immer wieder betont) eine Bewegung von Freundinnen und Freunden. Das wird in dieser Schrift anschaulich und klar - persönlich und biografisch ebenso wie kirchen- und “bewegungspolitisch“.

Gewaltfreiheit als politisch-religiöses Konzept hat sich wie selbstverständlich allmählich auch in den Volkskirchen anfanghaft durchgesetzt. Wie stark die Entfremdung war, kommt sehr deutlich im 3. Kapitel zum Tragen: erst nach dem 2. Weltkrieg wurden die historischen Sünden der Kirchen in der Bekämpfung der Friedenskirchen “wohl zum ersten Mal seit dem 16. Jahrhundert. angesprochen“. Sehr überzeugend wird dieses leise, aber stetige Werben der Friedenskirchen bei den Volkskirchen um einen historischen Neuanfang im Sinne des Evangelium beschrieben, der die “Lähmung des Glaubens“ und die “Nähe zu den politisch Mächtigen“ (Kap.2) überwinden könnte. Mit Recht kommt einigen gesellschaftlich wirksamen Gründungen – auch in der Darstellung – besondere Bedeutung zu, wie Eirene (Kap.3) oder Oekumenischer Dienst / Schalomdiakonat (Kap.8).

Es ist sehr hilfreich, wie in Kap.4 der Übergang vom sozial-ethischen zum ekklesiologischen Ansatz beschrieben wird, auf dem Weg von Freiwilligen- und Friedensdiensten zu Konzepten von “Friedensgemeinden“. Denkt man an die aktuelle und gegenwärtig sehr stark bedrohte “Friedensgemeinde“ San José de Apartadó in Kolumbien, dann sieht man in deren politischer Isolierung, wie wichtig es wäre, auch weltweit ein Netz solcher politisch wirksamer Friedensgemeinden zu knüpfen. Es ist auch erhellend, wie sich die Gewaltfreien der Friedenskirchen gegen die Theologen der Revolution behaupteten. Unwillkürlich denkt man an die heutige Parallele der hochmoralischen Befürworter “humanitärer“ militärischer Interventionen und die beharrlichen Gewaltfreien der Friedendienste und des Zivilen Friedensdienstes (ZFD).

Eine großartig zuspitzende Zusammenfassung ist den Autoren zum Ende des 4. Kapitels gelungen, wo sie beschreiben, wie friedenskirchliche Impulse die Jugend um 1970 erfassten:

Christus? - ja, wenn eine Option für eine andere Gesellschaft!

Befreiung als Erlösung? - ja, wenn gesellschaftlich und gewaltfrei gemeint!

Gewaltfreiheit? – ja, wenn nicht passiv, sondern engagiert-solidarisch!

Kirche? – ja, wenn nicht als Apparat, sondern als “greifbares geschwisterliches Miteinander in Gebet und Dienst“!

Mit diesem Vierschritt ist auch zugleich das Anliegen der Bewegung und der sie dokumentierenden Broschüre zusammengefasst.

--“Church and Peace 1949 - 1999: Fünfzig Jahre ökumenischer Dialog und friendenskirchliches Zeugnis”, Christian Hohmann und Wilfried Warneck, 2001, 68 Seiten, ISBN 3-9804408-4-2, 10 DM zzgl. Porto. Bestellungen: Church & Peace-Internationale Geschäftsstelle, Ringstr. 14, D-35641 Schöffengrund, Tel: +49 6445 5588, Fax: -5070, E-Mail: [email protected]

Dekade

•Dekade zur Überwindung von Gewalt 2001–2010: Impulse

2001, ca. 176 Seiten. ISBN 3-87476-384-6

Dieser Band will Impulse zu der Dekade zur Überwindung von Gewalt vermitteln. Er verschafft Einblicke in unterschiedlichste Gewaltursachen, öffnet aber gleichzeitig den Blick auch auf Überwin-dungsmöglichkeiten.

Allen, die sich in irgendeiner Form an dieser weltweiten ökumenischen Dekade beteiligen wollen, sollen diese Impulse fundierte Kenntnisse vermitteln, Diskussionen anstoßen und anregen, an einer Kultur der Gewaltlosigkeit mitzuwirken.

• Ökumenische Rundschau 4/2000 - Themenheft “Dekade zur Überwindung von Gewalt“

Essays: Ist ein “Kampf der Kulturen“ unausweichlich? Zur Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt im Kontext der Diskussion über Auswirkungen der Globali-sierung; Die Kultur des Marktes und die Vision einer Kultur der Gewaltlosigkeit. Zur Aufnahme ökonomischer Fragen in der Dekade zur Überwindung von Gewalt; Zwischen Erschrecken und Hoffnung. Zur theologischen Reflexion von Gewalt gegen Frauen;

Der Mensch als Wesen der Gewalt. Die Thesen René Girards und ihre theologische Rezeption; “Restorative Justice“. Praktische Theologie für die Dekade zur Überwindung von Gewalt.

Mit Dokumenten und Berichten von der Dekade.

Beide Bände erhältlich bei: Verlag Otto Lembeck. Gärtnerweg 16 . 60322 Frankfurt am Main. Tel 069/5 97 -09 88. Fax -5742. eMail [email protected]

 

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• Andacht für den Frieden

Die Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker), Deutsche Jahresversammlung lädt zu einer Andacht jeden Sonntag um 19-20 Uhr - “ungeachtet verschiedenen Wohnorte” - ein.

Im Gebet wird gesucht nach Kraft, Hilflosigkeit zu überwinden, Gewalttaten und Vergeltungsdenken konstruktiv entgegenzuwirken und weiterhin dazu beizutragen, die vielfältigen Gewaltursachen zu beseitigen.