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KIRCHENVOLKS - BEGEHREN

Plattform Wir sind Kirche - Verein zur Förderung von Reformen in der römisch-katholischen Kirche

HERDENBRIEF: "Liebe - Eros - Sexualität"

an die Bischöfe Österreichs und den Bischof von Bozen-Brixen.

Dieser Herdenbrief wurde am 15. Oktober 1996 in Wien von Vertretern der "Plattform Wir sind Kirche" unter dem Motto "die Herde schreibt zurück" präsentiert. Sie können die Broschüre und/oder das Buch "Liebe - Eros - Sexualität" bei der "Plattform Wir sind Kirche" oder direkt bei Druck und Verlagshaus Thaur Ges.m.b.H., Moosgasse 16 und 32, A-6065 Thaur, Austria, anfordern.

Die 20 Thesen des Herdenbriefs


1 Eros und Sexualität sind vitale Grundkräfte des Menschen. Sie sind in sich gut und bedürfen keiner besonderen Rechtfertigung. Die Bibel sieht in Ihnen- wie in einem Abbild - die Liebe und die Kreativität Gottes ausgedrückt.

2 Eros und Sexualität erfüllen sich in der treuen Zuwendung zu einem geliebten Menschen. Diese Zuwendung wird ganzheitlich geschenkt und erfahren - mit allen Kräften und Fähigkeiten. Sie wird von der Bibel gutgeheißen.

3 Eros und Sexualität haben eine Bedeutung, die über die Biographie der Liebenden hinausgeht, wenn sie neues Leben schaffen und bewahren. Darin nehmen sie teil am schöpferischen Werk Gottes und werden zum Abbild des Schöpfers.

4 Eros und Sexualität erfüllen einen Sinn im Leben der Liebenden, wenn diese sich selbst in der Erfahrung der Lust als vital und lebensfroh empfinden. Lebensfreude bedeutet, mit Lust und Liebe leben zu können.

5 Eros und Sexualität erfahren ihren vollen Sinngehalt, wenn alle drei Bedeutungen erfüllt sind: Liebe - neues Leben - Lust. Das Ideal einer christlichen Ehe vereinigt die drei Bedeutungen und sieht in ihnen ein Symbol der Liebe Gottes.

6 In den verschiedenen Lebensformen - ob allein, ob in Beziehung, ob in einer Familie lebend - können erotische und sexuelle Erfahrungen ihren Platz haben. Wenn sie mit Behutsamkeit, Wahrhaftigkeit und Verantwortung aufbauend und belebend wirken und keines Menschen Würde verletzen, sind sie gut.

7 Das jüdisch-christliche Menschenbild der Bibel geht mit Eros und Sexualität unbefangen um und kennt im Hohen Lied einen dichterischen Lobpreis dieser Kräfte. Gleichzeitig lassen die Strafgesetze des Alten Testaments die Tabus ihrer Zeit erkennen.

8 Entgegen weit verbreiteter Meinung ist das 6. Gebot kein Sexualgebot. Es schützt vielmehr die Ehe und untersagt den Ehebruch. In einer Einengung auf den genitalen Bereich hat die christliche Tradition im 6. Gebot aus einem Ehegebot ein Sexualgebot gemacht.

9 Die kirchliche Gewohnheit, den Bereich von Liebe, Eros und Sexualität in erster Linie und vor allem unter dem Aspekt der Sünde zu sehen, hat eine unbefangene Einstellung jahrhundertelang behindert. Das hat viele Menschen in ihrem Lebensglück beeinträchtigt.

10 Im vorehelichen, aber auch im ehelichen Bereich werden Erotik und Sexualität im Gleichklang mit dem näheren Kennenlernen und der wachsenden Vertrautheit erlebt und erlernt. Der übergangslose Wechsel von absoluter Enthaltsamkeit zu vollem Sexualleben in der Ehe ist fragwürdig.

11 Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind wie andersgeschlechtliche insoweit gut, als sie verantwortlicher Ausdruck von Liebe sind. Liebe und Treue verlieren nicht ihren Wert, wenn sie gleichgeschlechtlich gelebt und erfahren werden.

12 Die Trennung der Zeugung vom sexuellen Vollzug ermöglicht es Frauen und Männern, die Zahl ihrer Kinder verantwortungsvoll zu planen und der sexuellen Beziehung ihren Eigenwert als Ausdruck der Liebe zu erhalten.

13 Empfängnisverhütung einschließlich der Wahl der Methoden - nicht die Beseitigung bereits bestehenden Lebens - liegt in der Verantwortung beider Partner. Es ist ethisch bedeutsam, aus welchen Gründen ein Paar Nachkommenschaft wünscht oder verhindert.

14 Beim Zerbrechen und Scheitern einer Beziehung soll die kirchliche Gemeinschaft ein Ort des Trostes und ein Raum der Vergebung sein. Der generelle Ausschluß Wiederverheiratet - Geschiedener vom Sakramentenempfang wird als Dauerstrafe erfahren und widerspricht dem biblischen Anspruch der Versöhnung.

15 Gott ist in Jesus - für Frauen und Männer in gleicher Weise - Mensch geworden. Die Kirche ist in ihren patriarchalischen Strukturen dem väterlich-mütterlichen Gott Jesu untreu geworden.

16 Das Verbot der Frauenordination wird in äußerst fragwürdiger Weise mit der Männlichkeit Jesu und der Apostel begründet. Damit wird man weder dem Umgang Jesu mit Frauen noch der Lebenswirklichkeit von Frauen heute gerecht.

17 Das Eheverbot für Weltpriester stammt vorwiegend aus einer leib-, frauen- und sexualfeindlichen Epoche der Kirche und ist so nicht in der Bibel begündet. Es ist daher die völlig freie Wahl der Lebensform für Priester wiederherzustellen.

18 Das Gelübde der Ehelosigkeit unter Ordensleuten - Frauen und Männern - hat eine andere Bedeutung. Der Verzicht auf eine bürgerliche Familie zugunsten einer religiösen in völliger Freiwilligkeit steht in alter christlicher Tradition.

19 Ethische und kirchenrechtliche Bestimmungen, die dem Evangelium nicht entsprechen und deren Begründung nicht einsichtig ist, verpflichten nicht im Gewissen. Letzte Instanz der Entscheidung ist das gebildete Gewissen mündiger Christinnen und Christen.

20 Das belastende Erbe einer leib-, frauen- und sexualfeindlichen Geschichte wird erst dann bewältigt sein, wenn die Kirche die anstehenden Fragen unter Mitwirkring der Betroffenen im Sinn der Liebesbotschaft des Evangeliums gelöst haben wird.

copyright: Plattform "Wir sind Kirche " unter Mitwirkung der Südtiroler Initiativgruppe "Für eine lebendigere Kirche - per una chiesa più umana - pur na dlijia plü via", Druck und Verlagshaus Thaur, 1996.