Heft 8 - Theologie und Frieden

Gerufen, sich in die Bresche zu stellen

Zur Rolle der Kirchen bei der Überwindung von interreligiösen und interethnischen Konflikten

Vorwort

Du sollst heißen “der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, damit man da wohnen könne“. So lautete das Motto der internationalen Tagung von Church and Peace, die in Elspeet, Niederlanden, vom 27. bis zum 29. April 2001 stattfand. Diese Verheißung wird dem Volk Gottes unter ganz bestimmten Voraussetzungen zugerufen: die Bezeichnung “Volk Gottes” und die Berufung, die damit zusammenhängt, verdient es nur, wenn es darauf verzichtet, eine oberflächliche und ichbezogene Religion auszuüben, die sich in Frömmigkeitsübungen, im Fasten und in öffentlichen Bußfeiern erschöpft, ganz gleich wie eindrucksvoll sie erscheinen mögen. Dafür gilt es, die von Gott gewollte Gerechtigkeit zu tun: Unterdrückte und Arme zu befreien, mit allen Menschen Brot und Dach zu teilen.

Das hier vorliegende Heft ist ein Plädoyer dafür, dass Christen und Kirchen ihre eigene Berufung aufgreifen, wenn sie heute Volk Gottes sein wollen: da gilt es, Gerechtigkeit auszuüben, damit auf den zerstörten Wegen wieder Leben entsteht.

Das hier vorliegende Heft versucht, dieses internationale Treffen wiederzugeben. Es wurden dort ausgiebig die Rolle und die Verantwortung der Kirchen im Kontext interethnischer und interreligiöser Konflikte diskutiert. Dies geschah anhand von Erfahrungen, die im Kontext des Balkankonfliktes, sowie der Lage in Nordirland und in Ruanda gesammelt wurden. Zeugnisse wurden zu Gehör gebracht. Die Kirchen und Gemeinschaften im Netz von Church and Peace wurden dazu herausgefordert, ihren Beitrag zur Dekade zur Überwindung von Gewalt zu leisten.

Wir hoffen, dass unsere Leser angeregt werden, sowohl über die hier angesprochenen Themen nachzudenken, als auch ermutigt, zu den Menschen, die Lücken zumauern, zu stoßen, die so dringend in unserer heutigen Welt gebraucht werden.

Marie-Noëlle von der Recke

Übersetzung: Silvia von Verschuer

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Einführung in die “Dekade zur Überwindung von Gewalt”

Reinhard J. Voß

Persönlicher Einstieg in die Wiederentdeckung der radikalen Gewaltfreiheit Jesu

“Ich sage keine tötenden Sätze über Leute, die nicht schon vorher versucht haben, mich zu töten. Ich halte nicht die Wange hin für eine Ohrfeige. Für eine Ohrfeige, da gebe ich drei zurück.“

Das sagte der Modezar Karl Lagerfeld kürzlich in einem Interview und traf damit eine sich ausbreitende Selbstgewissheit in Deutschland bzw. den “westlichen“ Staaten. Drei Aspekte fallen mir dabei auf:

• Man(n) ist nicht böse, wenn man in Ruhe gelassen wird.

• Man(n) zahlt mit gleicher Münze heim.

• Man(n) geht sogar noch über das altjüdische “Auge um Auge, Zahn um Zahn“ hinaus – damals übrigens eine historische Pazifizierungs-Stufe – und gibt drei zu eins zurück.

Als ich im Januar 1994 in Chicago an einer Konferenz historischer Friedenskirchen teilnahm, erlebte ich, wie der Koordinator der Christian Peacemaker Teams, Gene Stolztfus, die Gewaltfreiheit Jesu vorstellte, indem er mit einem Teilnehmer des workshops übte, wie man jemanden mit der verachtenden rechten Rückhand auf die linke Wange schlägt – einfach lächerlich mit anzusehen!

Das war so ein Moment, in dem einem ein Licht aufgeht. Und so muss es den Zeitgenossen Jesu auch gegangen sein, sonst hätten sie diese Zentralstelle jesuanischer politischer Pädagogik nicht in die Evangelien aufgenommen.

“Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: “Ein Auge für ein Auge und einen Zahn für einen Zahn.“ Aber ich sage euch: Setzt dem, der böse ist, keine Gewalt entgegen. Sondern wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die linke hin; wenn dich jemand verklagt und deinen Mantel fordert, dann lass ihm auch dein Untergewand; wenn dich einer zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh mit ihm zwei Meilen.“ (Matth.5, 38-41)

Ich zitiere Walter Wink (W. Wink, Angesichts des Feindes, München 1988, S. 37):

“Die Person, die die andere Backe hinhält, sagt damit “Versuch es noch einmal! Dein erster Schlag hat sein eigentliches Ziel verfehlt. Ich verweigere dir das Recht, mich zu demütigen.“ Die Armen sind es, die Jesus zuhören; an ihnen allen nagt der Hass auf ein System, das sie demütigt, indem es ihnen das Land und ihren Besitz wegnimmt und sie schließlich buchstäblich bis aufs Hemd auszieht.”

Walter Wink hat so eindrücklich gezeigt, wie der “dritte Weg Jesu“ aussieht und dass es ihn überhaupt gibt: zwischen feiger Flucht und gewaltsamem Kampf, zwischen Unterwerfung und bewaffnetem Aufstand, zwischen Passivität und gewaltsamer Revolte, zwischen Rückzug und direkter Vergeltung, zwischen Ergebung und Rache. Es ist ein Weg der moralischen Initiative, ein Weg, der brutaler Gewalt mit Witz, Einfallsreichtum und Humor begegnet; der den Teufelskreis der Demütigungen durchbricht und die zugewiesene Opferrolle verlässt, ein Weg, der die eigene Menschenwürde selbstbewusst vertritt und das Gewissen des Unterdrückers bzw. das korrupte System durch die “Kraft der Wahrheit“, Satyagraha, angreift.

Letztlich bedeutet dies, lieber bereit sein zu leiden als nachzugeben, lieber Gewalt zu erleiden als Gewalt anzuwenden. Aber – und dies gilt es in der Alphabetisierung zur Gewaltfreiheit in der gerade begonnene Dekade umzusetzen – die letzte Konsequenz der Leidensbereitschaft geht ja einher mit der Ausbildung einer Haltung und Fähigkeit, “in Konflikten, Krisen und gewaltsamen Auseinandersetzungen helfend ein(zu)greifen“. So lauteten die auch von manchen C&P-Mitgliedern eingegangenen Selbstverpflichtungen bei der Ökumenischen Versammlung in Basel 1989 und der JPIC-Weltkonferenz in Seoul 1990.

Ich halte die möglichst breite Entwicklung einer Haltung und Fähigkeit aktiver Gewaltfreiheit für eine Kern-Herausforderung für Christen und Kirchen in den nächsten zehn Jahren.

Zur “Dekade zur Überwindung von Gewalt”

Die “Dekade zur Überwindung von Gewalt“, die der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) für 2001-2010 bei der Vollversammlung 1998 in Harare ausgerufen hat findet ihre Parallele in der von der UNO für das gleiche Jahrzehnt ausgerufenen “Internationalen Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder der Welt“. Diese kam zustande auf Initiative vieler FriedensnobelpreisträgerInnen, des Versöhnungsbundes und anderer NGOs.

Der ÖRK-Beschluss hat eine 7jährige Vorgeschichte. Als Fortsetzung des in den 80er Jahren höchst umstrittenen ÖRK-Programms zur Bekämpfung von Rassismus und Apartheid (“PCR - Programme to Combat Racism“) wurde im Januar 1994 aufgrund des inspirierenden Vorschlags eines südafrikanischen Bischofs vom Zentralausschuß des ÖRK in Johannesburg ein “Programm zur Überwindung der Gewalt“ beschlossen. Nachdem der Aufruf mehrere Jahre nicht so recht fruchten wollte, sollte er durch die vom theologischen Beraterkreis (“reference group“) bei einer Tagung in Rio de Janeiro im Januar 1996 entworfene Kampagne “Peace to the City“ vorangetrieben werden. Diese Kampagne war bewußt begrenzt auf die beiden Jahre bis zur Vollversammlung in Harare Ende 1998.

In seinem Dekade-Grundtext von 1999 hat der Ökumenische Rat der Kirchen zu einem breiten Spektrum des Engagements eingeladen:

“Während der Dekade zur Überwindung von Gewalt wird der Schwerpunkt auf der Reaktion auf und der Verhütung von folgenden Formen der Gewalt sein:

• Überwindung von Gewalt zwischen Staaten

• Überwindung von Gewalt innerhalb von Staaten

• Überwindung von Gewalt in örtlichen Gemeinschaften

• Überwindung von Gewalt zu Hause und in der Familie

• Überwindung von Gewalt in der Kirche

• Überwindung von sexueller Gewalt

• Überwindung von sozio-ökonomischer Gewalt

• Überwindung von Gewalt als Ergebnis wirtschaftlicher und politischer Zwangsmassnahmen

• Überwindung von Gewalt unter Jugendlichen

• Überwindung von Gewalt in Verbindung mit religiösen und kulturellen Gebräuchen

• Überwindung von Gewalt innerhalb von Rechtssystemen

• Überwindung von Gewalt gegen die Schöpfung

• Überwindung von Gewalt als Ergebnis von Rassismus und ethnischem Haß“

Chance der Dekade und erste Reaktionen

Ein schier unübersichtlicher und überfordernder Katalog?! So zweifelte denn auch ein der großen überregionalen liberalen deutschen Zeitungen, die Süddeutsche Zeitung am Tag nach der Dekaden-Eröffnung (SZ 7.2.01 “Der ratlose Kirchenrat“), daran, “dass die nun ausgerufene Dekade zur Überwindung der Gewalt mehr wird als eine erbauliche Beschäftigung mit sich selbst.“

Wenn wir es so angehen, wie ich es oft erlebt habe, dass Gremien und Untergremien und Kommissionen und Projektgruppen in den Kirchen gegründet werden, die dann Verfahrensvorschläge machen und Arbeitsmappen erstellen und Tagungen veranstalten und Berichte über die Ergebnisse der Kommissionen schreiben, dann hätte die Süddeutsche Zeitung recht behalten. (Ich könnte einen entsprechenden Landessynodenbeschluss zitieren.)

Konrad Raiser hat in einem Interview mit der Trierer Bistumszeitung “Paulinus“(22.4.2001 S. 6) dazu gesagt:

“Die Ausbreitung einer “Kultur der Gewalt“, wie sie seit einiger Zeit zu beobachten ist, stellt eine zentrale Herausforderung für die Ökumene dar. (..) Die im Rahmen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung eingegangene Verpflichtung für Gewaltfreiheit in der Lösung von Konflikten muss ins Zentrum der Kirchen rücken. (...) Es ist daher wichtig, das Schweigen über die Gewalt und ihre Ursachen zu durchbrechen, durch Netze der Solidarität den Widerstand gegen Gewalt zu stärken, gewaltfreie Formen der Konfliktlösung einzuüben und einer Kultur der Gewöhnung an die Gewalt die Praxis des Dialogs und der Solidarität entgegenzusetzen.“

Konkretheit und Phantasie sind gefragt. Ich kann mich hier derzeit nur auf die deutsche Diskussion beziehen. Der Ratsvorsitzende der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Manfred Kock hat vorgeschlagen, sich aus der Fülle der vom ÖRK als Rahmen vorgeschlagenen Bereiche drei herauszunehmen:

• Gewaltprävention in unseren Häusern und Familien (besonders Gewalt in der Erziehung und gegen Frauen)

• Präventionsmaßnahmen gegen rassistisch motivierte Gewalt (mit gemeindepädagogischen Konzepten, diakonischen Jugend-Projekten, Mahnwachen, Telefonketten u.ä. Aktionen)

• Gewaltprävention in zwischen- und innerstaatlichen Konflikten. (Er nannte besonders Kosovo/Jugoslawien und Israel/Palästina)

Er rief auf zu einer “Kultur der Gewaltfreiheit in Deutschland“ mit den Worten: “Es muss sich etwas in den Köpfen verändern!“ Es kommt nun entscheidend auf die Basis-Initiativen der nächsten Jahre an, wenn die Dekade mehr als eine kirchliche Selbstbeschäftigung werden soll.

Außerdem gilt es den Blick auch auf die strukturelle Gewalt zu richten, die ja meist nur von den Opfern überhaupt wahrgenomen werden kann, d.h. auch im Sinne der Befreiungstheologien aus der Sicht der Opfer sehen und handeln zu lernen. Auch das bedeutet: auf dem Weg zum “gerechten Frieden“ sein.

Die Arbeitsgemeinschaft Christliche Kirchen –also das gesamte ökumenische Kirchenspektrum in Deutschland - befürwortet die Dekade. Auch meine Organisation pax christi wird sie unterstützen. In einer gerade gebildeten Arbeitsgruppe haben wir festgestellt, daß das Spektrum der Arbeit von pax christi ziemlich genau der Breite der ÖRK-Vorschläge entspricht.

Ich möchte meine innerkirchliche Lieblingsvision nicht verhehlen.

“Ich sehe als Vision vor mir, dass 2010 viele christliche Kirchengemeinden, so selbstverständlich wie sie heute einen Senioren- oder einen Jugendkreis haben, auch eine Werkstatt für gewaltfreie Konfliktbewältigung und Friedenskultur betreiben.“ (R.J.Voß, Schalom-diakonat. Erfahrungen und Einsichten zur Gewaltfreiheit, Idstein 2000,62)

Die landeskirchlichen Aktivitäten sind ermutigend; auch die Diskussion in den kirchlichen Jugendverbänden AEJ und BDKJ über neue “Orientierungen für eine Friedensethik“ halte ich für vielversprechend; das katholische Bischofswort “gerechter Friede“ kommt zur rechten Zeit und deutet einen Paradigmenwechsel in den großen Kirchen nach dem Jugoslawien- und Kosovo-Debakel an.

Die Dekade als Herausforderung für Friedens- und Volkskirche

Ein Widerspruch zwischen messianischem Auftrag zum Gewaltverzicht und vernunftgemäßer Akzeptanz eines “gewaltbewehrten Friedens“ durchzieht das katholische Bischofswort “gerechter Friede“ – aber mit einer deutlichen Betonung der Herausforderung der jesuanischen Gewaltfreiheit.

Ich möchte diese Spannung gerne im Hinblick auf das Verhältnis von Volks- und Friedenskirchen praxisbezogen in einigen Thesen akzentuieren.

• Die großen Volkskirchen haben im Konziliaren Prozeß gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung wichtige Schritte in Richtung verpflichtender Kirchen-Gemeinschaft getan, wenn sie auch die zu Grunde liegende Bundeschluss-Theologie mit ihren politischen Konsequenzen (noch) nicht nachvollziehen konnten/ wollten. Aber: Gewaltfreiheit als politisch-religiöses Konzept hat sich wie selbstverständlich allmählich auch in den Volkskirchen anfanghaft durchgesetzt.

• Die Rolle der Historischen Friedenskirchen ist nach dem 2. Weltkrieg erstmals von den Volkskirchen anerkannt worden. Erst da wurden die historischen Sünden der Kir-chen in der Bekämpfung der Friedenskirchen “wohl zum ersten Mal seit dem 16. Jhd. angesprochen“ (Warneck/ Hohmann, 50 Jahre C&P).

• Weiter wichtig und notwendig ist das stetige Werben der Friedenskirchen bei den Volkskirchen um einen historischen Neuanfang im Sinne des Evangeliums, der die “Lähmung des Glaubens“ und die “Nähe zu den politisch Mächtigen“ (ebd.) überwinden könnte. Dieses Werben sollte aber nicht in ein fanatisches Drängen münden, um den beginnenden Kurswechsel der großen Kirchen nicht unnötig zu verzögern. Gründungen wie Eirene (60er Jahre) und Oekumenischer Dienst / Schalomdiakonat (90er Jahre) sind exemplarische Zeichen und Stationen auf diesem Weg.

• Es ist sehr hilfreich, den in der Geschichte von C&P geschehenen Übergang vom sozialethischen zum ekklesiologischen Ansatz - nämlich den Weg von Freiwilligen- und Friedensdiensten zu Konzepten von “Friedensgemeinden“ – in den Volkskirchen auch zu beschreiten. Dabei ist “Gemeinde“ sowohl traditionell pastoral in unterschiedlicher Form als auch modern basiskirchlich zu verstehen.

Denkt man an die aktuelle und gegenwärtig sehr stark bedrohte “Friedensgemeinde“(“comunidad de paz“) San José de Apartadó in Kolumbien, dann sieht man zugleich die spirituelle wie die politische Bedeutung solcher Friedensgemeinden. “Kirche(n) DES Friedens“ zu werden statt nur als Kirchen für den Frieden zu werben – dieser Prozeß hat begonnen.

Praktische Perspektiven

Aus meiner deutschen Sicht und Erfahrung möchte ich abschließend einige Hoffnungszeichen im gesellschaftspolitischen Feld der letzten Jahre aufzeigen.

Zusätzlich zu der beiden Dekadeaufrufe und der Gründung der “Europäischen Plattform Zivile Konfliktbearbeitung“ möchte ich folgende Beispiele erwähnen:

• Die Schul-Mediation etablierte sich immer erfolgreicher durch Streitschlichtergruppen, Runde Tische und “Konfliktlotsen“;

• Trainings in Gewaltfreiheit und zu alternativem Verhalten in Bedrohungssituationen verbreiteten sich - von pazifistischen bis zu polizeilichen Angeboten;

• Deutsche und EU-Programme zu Integration, konstruktiver Konfrontation und Ausstiegsangeboten für die “rechte Szene“ – wie zuletzt das Xenos-Programm- wurden aufgelegt.

• Asylgruppen, insbesondere auch Kirchenasyl-Initiativen entwickelten neue Formen sozialer Bewegungen;

• Ein Schalomdiakonat im ökumenisch-kirchlichen und ein Ziviler Friedensdienst im staatlich geförderten Sektor etablierten sich;

• Ein Projekt gewaltfreier Intervention ist beim Bund für Soziale Verteidigung geplant.

Der “Bund für soziale Verteidigung“ formulierte im März 2001 eine politische Perspektive, der sich auch Friedenskirchen und friedenskirchliche Flügel der Volkskirchen verpflichtet fühlen sollten:

“Wir sehen die Herausforderung der Friedensbewegung in einem politisch aktiven und streitbaren Pazifismus. Politisch im Sinne von Entwicklung ziviler Handlungskonzepte zur innergesellschaftlichen und internationalen Konfliktaustragung mit vielfältigen Instrumentarien und Verfahren, die die Kritik an militärisch gestützter Politik selbstverständlich mit einbezieht. Streitbar in dem Sinne, dass, wer Frieden will, den Frieden auch vorbereiten muss.“

Mit meinen Worten (aus: Schalomdiakonat, ebd. S. 36): “Um sich ... der Einbindung in die Macht- und Militärlogik zu widersetzen bzw. sich ihr zu entziehen, ist wiederum eine tiefe, eben prophetisch-religiöse Fundierung des pazifistischen Ansatzes nötig. Andererseits braucht es eine realpolitische “Erdung“ des religiös-prophetischen Pazifismus. Etwas knapp und salopp formuliert: Der politische braucht den religiösen Pazifismus, um durchzuhalten, der religiöse den politischen, um nicht durchzudrehen!“

Reinhard Voß ist Generalsekretär von Pax Christi, deutschen Sektion.

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Zum Balkankonflikt - Rolle und Verantwortung der ost- und westeuropäischen Kirchen

• Geschichten zum Friedenszeugnis der Kirchen auf dem Balkan

Der Interviewer Janko Jekic ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied des christlichen Vereins für humanitäre Arbeit "Brot des Lebens". Von seinem Wohnort in Deutschland aus organisiert er Hilfstätigkeiten zugunsten von Menschen, die nach Kroatien zurückkehren.

Ihre Geschichten erzählen sich: Aleksandar Birvis, baptistischer Pastor, Professor an der theologischen Fakultät von Novi Sad, Jugoslawien, und Beständen des Jugoslawischen Vereins für religiöse Freiheit; Vesna Liermann, Mitarbeiterin des Verbands für interreligiöse Zusammenarbeit im Friedenstiften, tätig im Zentrum für Frieden, Gewaltfreiheit und Menschenrechte in Osijek, Kroatien; Vater Stojadin Pavlovic, serbisch-orthodoxer Priester und Mitglied des Leitungskreises des Belgrader Interreligiösen Zentrums, Jugoslawien, und Jasmina Tosic, stellvertretende Direktorin von Brot des Lebens", Belgrad, Jugoslawien.

Janko Jekic: Wir möchten heute morgen über die Arbeit sprechen, die vor Ort geschieht, über ihre Freuden und ihre Herausforderungen und darüber, wie wir in der Zukunft zusammenarbeiten können. Lassen Sie mich mit einer Frage an Professor Birvis beginnen: Wie sehen Sie die Rolle der Kirche im Friedenstiften in den Konfliktregionen?

Professor Aleksandar Birvis: Die theologischen Schulen, denen ich angehöre, sehen die Rolle der Kirche unter drei Aspekten. Im Griechischen sprechen wir von “leiturgia" “didaskalia“ und “diakonia", das heißt von "Gottesdienst und Gebet“, “Unterweisung" und "Dienst. Unsere Friedensarbeit kann im Rahmen aller dieser drei Aspekte erfolgen. Die ersten Worte des auferstandenen Christus an seine Gemeinde - an die ihm Nachfolgenden - waren: Friede sei mit euch!" Friedensarbeit ist also etwas, was Teil unseres Auftrags bleiben muss. Was unser Gebetsleben und unseren Gottesdienst betrifft, so sollten wir nicht nur die Zahl der Friedensgebete und der Friedenspredigten steigern, sondern uns darauf konzentrieren, dass Friede ein Grundmotiv in allen gemeindlichen Lebensbereichen wird, von der theoretischen Grundlegung bis hin zu ganz praktischen Anleitungen. Im Bereich der Unterweisung steht eine Überprüfung nicht nur des Wie, sondern auch des Was unserer Verkündigung an. Was den Dienst angeht, so ist die Beobachtung wichtig, dass sich unsere Sozialdienst-Organisationen sowie ihre einzelnen Freiwilligen bemühen, eine jede Person in irgendeiner Weise in die Arbeit des Friedenstiftens und des Friedensaufbaus, einzubeziehen.

JJ: Ich denke, wir alle und unsere hier auf dieser Tagung anwesenden Brüder und Schwestern aus Westeuropa und Nordamerika ganz besonders, sind neugierig zu erfahren, was gegenwärtig eigentlich auf dem Balkan vor sich geht und wie die Kirchen zur Entwicklung des Friedens beitragen. Ich möchte Vesna Liermann bitten, uns ein konkretes Beispiel der Friedensarbeit darzustellen, an der sie sich im kroatischen Osijek beteiligt, also in einer multiethnischen Stadt, die während des Krieges schlimme Kämpfe und Grausamkeiten erleben musste.

Vesna Liermann: Nach Kriegsende arbeitete ich in einem Dorf mit mehrheitlich serbischer Bevölkerung. Die meisten Kroaten waren ausgewiesen worden, langsam kehrten sie nach dem Krieg zurück. Im Dorf gibt es zwei Kirchen, eine katholische und eine orthodoxe. Ungefähr vor zwei Jahren kam ein katholischer Priester zurück und begann, im Dorf zu arbeiten; es gab jedoch kein wirklich gutes Miteinander der beiden Kirchen. Das Zentrum für Frieden, Gewaltfreiheit und Menschenrechte versuchte, einige Schritte zur Verbesserung dieser Situation einzuleiten. Wir waren zunächst unsicher, wie wir das angehen sollten. Wir hatten viele Diskussionen mit dem katholischen Pfarrer und mit dem orthodoxen Pfarrer dort, aber wir schafften es nicht, sie zum Dialog miteinander zu bewegen.

Schließlich begriffen wir, dass wir durch die Leute in den Kirchen arbeiten müssten. Wir riefen eine Gruppe aus Gemeindegliedern der katholischen wie der orthodoxen Kirche ins Leben und gingen mit ihr im Dorf von Haus zu Haus, um die konkreten Bedürfnisse der Leute herauszufinden. Wir entdeckten zwei allen gemeinsame Anliegen. Das erste war das Problem der Sicherheit: Wie gelangte man dahin, sich in einem Dorf sicher zu fühlen, in dem sich zwei sehr nationalistische Gruppen gegenüberstehen? Das zweite Problem war die überaus schwierige wirtschaftliche Situation.

Wir beschlossen, zunächst das zweite Problem zu bearbeiten - die Armut und die klägliche ökonomische Situation. Mit den Antworten auf unseren Fragebogen unter dem Arm zogen wir zu einem katholischen, dann zu einem orthodoxen Priester und diskutierten mit ihnen darüber. Dabei ernteten wir die ersten Früchte; den katholischen Pfarrer berührte das Gehörte zutiefst, und er begann daran zu arbeiten, wie man Wege heraus aus der elenden wirtschaftlichen Situation finden könnte. Allmählich machte sich auch der orthodoxe Diakon den Gedanken der ökumenischen Zusammenarbeit zu eigen, und heute, nach zwei Jahren, ist er ebenfalls in diese Arbeit einbezogen.

So gibt es zum Beispiel in der katholischen Kirche eine Gruppe gläubiger Gemeindeglieder, die wöchentlich arme Familien besuchen, um mit dem Nötigsten auszuhelfen und gelegentlich eine Mahlzeit zu kochen. (Ich denke, es sollte hervorgehoben werden, dass diese Gruppe in ihrer Arbeit ganz objektiv vorgeht, die Nationalität der Familien, denen sie beisteht, spielt keine Rolle.) Irgendwann brachte der orthodoxe Diakon eine Jugendgruppe zusammen und ließ sie mit dieser katholischen Gruppe zusammengehen; gemeinsam besuchen die Glieder der beiden Gruppen bedürftige Leute und organisieren zu ihren Gunsten verschiedene Aktivitäten. So verkauft die Gruppe Handarbeiten der Leute. Wir haben also verstanden, dass wir dadurch, dass wir uns den Grundproblemen der Leute zuwenden, als Friedenstifter in der Situation wirken können, in der sich die Menschen befinden. Selbstverständlich sind dabei die Kirchen einbezogen. Die Ergebnisse sind wahrhaftig erstaunlich! Ganz allmählich haben wir dort die sogenannte Nationalitätenfrage gelöst.

JJ: Es gab so viele Berichte über die negative Seite der von der Serbisch-Orthodoxen Kirche in den Kriegszeiten gespielten Rolle. Ich möchte unseren Bruder Reverend Stojadin, orthodoxer Priester aus Valjevo, bitten, uns einige Beispiele von friedenstiftenden Aktionen von Gliedern seiner Kirche zu berichten, da solche Geschichten in den Medien nicht vorkommen.

Vater Stojadin: Während des letzten Balkankrieges am Ende des 20. Jahrhunderts wurden die Völker des früheren Jugoslawien so dargestellt, als hätten sie die Kirche, zu der ich gehöre, die orthodoxe Kirche, bekämpft. Dagegen war die orthodoxe Kirche in sämtlichen Konfliktzonen präsent. Die orthodoxe Kirche wurde als eine Kirche mit Hintergedanken dargestellt, die die streitenden Parteien noch zum Kampf anstachelt. Dagegen hat sie versucht, ihren Kirchengliedern in Serbien, Bosnien und Kroatien das Leben zu retten. Ich will Ihnen zwei Beispiele erzählen, die Zeugnis von der anderen Seite der Geschichte ablegen.

Während des letzten Krieges verschwand ir-gendwo in Bosnien der Sohn von Imam Redza aus Zvornik. Der Aktivste bei der Suche nach Imam Redzas Sohn war Strecko Radosavljevic, ein orthodoxer Priester aus Prnjavor bei Sabac, also nahe an der bosnischen Grenze. Er half den Moslems bei ihrer Suchaktion nach dem Sohn des Imam.

Ein zweites Beispiel ist das des Bischofs Lavrentije von Sabac und Valjevo, der nach Sarajevo fuhr um sich in die Bemühungen um die Freilassung von Franzosen, Holländern und Deutschen einzuschalten, die dort gefangengehalten wurden. Mit Wissen und dem Segen des serbisch orthodoxen Patriarchen Pavle brachte er diese Leute von Sarajevo nach Belgrad und dann zum Flughafen in Budapest, so dass sie heimfliegen konnten. Für die Serben waren jene ausländischen Gefangenen in gewissem Sinn Menschen von der anderen Seite gewesen; denn so wurden sie dargestellt: als Feinde des serbischen Volkes, nicht als Freunde.

JJ: Gerade haben wir etwas von Mitgliedern der Mehrheitskirchen der Region gehört; jetzt wollen wir mit jemand aus einer protestantischen Minderheitskirche sprechen, mit Jasmina Tosic. In ihrer Arbeit bei "Brot des Lebens" - gegründet von einer Pfingst- und einer Baptistengemeinde - hatte sie Kontakt mit Tausenden und Abertausenden von Flüchtlingen unterschiedlicher Volks- und Gebietszugehörigkeit.

Jasmina Tosic: Ich möchte aus meiner ganz persönlichen Perspektive erzählen, nicht als Direktorin von Brot des Lebens". Unter den Christen in Jugoslawien und in der Region, aus der ich komme, hat es einen leidenschaftlichen Protest gegen diesen Krieg gegeben. Um seiner Gnade willen und zu seiner Ehre hat Gott uns in die Lage versetzt, eine machtvolle Antwort zu geben genau in derselben Art und Weise, wie es die in der Passage aus Jesaja 58 gegebenen Beispiele darstellen. Wir können nichts aufbauen, solange wir nicht die Grundbedürfnisse der Menschen im Blick haben. Was Christen in der Region tun, erschien all die Kriegsjahre hindurch nicht in den Medien und ist auch bis heute kein Gegenstand ihrer Berichte. Es gibt da eine leise Stimme, die kommt von friedlichen und stillen Leuten. Aber diese leise, stille Stimme ist machtvoller als irgendetwas sonst. Sie haben Geschichten der Zerstörung gehört, wir aber sind Zeugen davon, wie durchschnittliche Leute wieder aufgerichtet und ermächtigt werden können, Gutes zu tun und Böses und Gewalt in ihren Herzen zu überwinden. Genau wie die übrigen, die ihre Erfahrungen bereits dargestellt haben, haben auch wir verschiedene Programme - Lebensmittelverteilung, Menschen dabei helfen, eine Wohnung zu finden, ihre Gesundheit wiederherzustellen und Überhaupt einen Weg voran zu finden.

Ich möchte sehr auf diese stille Arbeit hinweisen, die von Church and Peace und von Christinnen und Christen geleistet wird, die von der Frage umgetrieben werden, ob die Kirchen auf diesen Krieg angemessen reagiert beziehungsweise ob sie alles getan haben, was sie hätten tun sollen, um ihn zu verhindern. Vor zwei Jahren, 1999, nahm ich am Church and Peace-Symposium in Bienenberg teil, während die NATO Jugoslawien bombardierte. Niemand wusste, was als nächstes geschehen würde, und wir waren alle in unserem Gefühl der Ohnmacht sehr frustriert. Aber in der Folge der Konferenz gab es von Christen aus allen jenen Ländern, deren Regierungen mein Land bombardierten, eine unglaubliche Hilfsaktion. Gemeinsam mit Christen aus England, Amerika, den Niederlanden, Deutschland und Schweden gaben wir unsere Antwort, und wir fahren bis heute fort, sie auf eine stille Art und Weise zu geben und damit etwas für Jugoslawien sehr Wichtiges zu tun. Wir richten Menschen auf, ihr Leben neu zu bauen. Ich könnte viele Geschichten erzählen Geschichten von Hilfe-Eimern, von Wohnungsprogrammen, von Geschenk-programmen, die Kühe, Schweine und Hühner betrafen, und so weiter - und davon, wie das alles das Leben der Leute beeinflusst. Die Antwort, die Kirchen und einzelne Christinnen und Christen in der Region geben, ist also recht bemerkenswert.

JJ: Eine letzte Frage an Herrn Birvis im Blick auf die Zukunft und die Aufgabe des Friedenstiftens. Worin erblicken Sie die Herausforderungen und die Gelegenheiten für friedensfördernde Arbeit in Konfliktgebieten, sowohl was Theologen als auch was Laien betrifft? Worin bestehen die spezifischen Aufgaben im Bereich dieser sehr schwierigen Aufgabe: Frieden zu fördern?

Aleksandar Birvis: Ich möchte hier einmal die drei Schritte heranziehen, die unsere methodistischen Geschwister nicht nur auf dem Balkan, sondern auch andernorts benutzen. Der erste Schritt besteht darin, die Wahrheit zu finden gemäß der Verheißung Jesu: "Ihr werdet die Wahrheit finden, und die Wahrheit wird euch frei machen." Die Wahrheit zu finden, ist uns aufgegeben. Das ist etwas sehr Schwieriges, denn jede Partei besitzt ihre eigene Lesart davon, was geschehen ist, und ihre je eigene Blindheit. Wir müssen den Menschen helfen, über sich selbst hinauszuschauen und dann wahrheitsgemäß und genau darzustellen, was geschah. Nur dann sind wir in Wirklichkeit vorbereitet auf Versöhnung.

Im Bück auf die Balkankonflikte denken wir, wenn es um Versöhnung geht, immer an die Versöhnung zwischen Serben und Kroaten oder zwischen Albanern und Serben und so weiter, aber in Wirklichkeit muss diese Versöhnung zuerst durch die Verantwortlichen der Religionen geschehen - durch Pastoren, durch Imame, durch orthodoxe und römisch-katholische Bischöfe. Sie sind diejenigen, die die ersten Schritte zu tun haben. Glücklicherweise haben einige - obwohl nicht alle - von ihnen begriffen, was sie zu tun haben, und sie arbeiten hart an der Aufgabe der Versöhnung.

Die wirkliche Frucht dieser Versöhnungsarbeit - Friede in einer spezi-fischen Stadt oder einem Bezirk - folgt viel später. Wahrer Friede ist nicht einfach die Abwesenheit von Krieg, ohne dass die tieferliegenden Probleme gelöst worden wären, so wie es zur Zeit in der Region der Fall ist. Ich bin dankbar, dass es dort einige zeitweilige Zwischenlösungen gibt, unsere Arbeit jedoch sollte von wirklichem Frieden gefolgt werden, weil wir zu Friedenstiftern berufen sind. Das ist ein langer Pfad, und manches Mal wird es vereitelt, dass wir das Ziel erreichen. Wir müssen begreifen, wie schwach und machtlos wir sind, und Gott um Kraft bitten. Wir müssen darum bitten, dass seine Gnade in uns arbeitet und uns zu unserer Berufung befähigt, dass sie uns aber auch demütig genug macht, die Situation zu akzeptieren und ebenso die Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen. Desgleichen müssen wir verstehen, dass wir alle gesündigt haben, und den Willen haben, diese unsere Sünde zu bereuen. Nur dann wird unser Werk voranschreiten und in Wahrheit Frucht bringen.

Übersetzung aus dem Englischen: Wilfried Warneck

 

• Brot des Lebens mit Honig - das beharrliche Tun für den Frieden

Antwort von Anthea Bethge

Damals, als ich gefragt wurde, hier an dieser Stelle eine Antwort zu formulieren, habe ich gerne "ja" gesagt. Ich habe an meine häufigen Reisen auf den Balkan gedacht, und an die engagierten Leute dort, die ich besuche und denen ich zuhöre. Das ist für mich etwas ganz Faszinierendes. Ich habe sehr, sehr viel gelernt von ihnen.

Für diese Antwort habe ich Ihnen etwas mitgebracht: einen Teller. Es ist ein ganz normaler Teller vom Frühstückstisch. Er steht symbolisch für den Balkan. Er ist nicht zerbrochen und kaputt, wie Sie vielleicht erwarten, sondern einfach ein Teller. Das Besondere an diesem Teller ist, dass er nicht leer ist. Auf diesem Teller liegt eine Scheibe Brot - trockenes Brot. Was ich hier auf der Tagung wieder gelernt und erfahren habe, ist die Tatsache, dass es auf dem Balkan Brot gibt, Brot des Lebens. Das meine ich in zwei Weisen: Brot, das wirklich Brot ist, aus Korn, gewachsen, gemahlen, gebacken. Brot, das nötig ist, weil Leute Hunger haben. Sie sollen satt werden. Aber ich meine es auch als Brot des Lebens, das die Seele satt macht; das diejenigen satt macht, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit und Frieden; gute Worte der Verkündigung. Jedes Mal neu lerne ich: Es gibt ganz viel Brot des Lebens auf dem Balkan.

Wir haben in dem Seminar hier in Elspeet gelernt, gerade wir aus dem Norden und Westen Europas und aus ferneren Ländern, dass die Situation auf dem Balkan auf keinen Fall mysteriös ist, sondern wirklich nur kompliziert. Prof. Birvis hat uns daran erinnert. Das war sehr wichtig, denn wenn man etwas als mysteriös ansieht, dann ist man vielleicht einfach nur nicht nahe genug dran. Dann versteht man nicht. Wenn wir nahe genug herankommen, erkennen wir, dass es eine sehr komplizierte Situation ist, die jedoch durchaus zu verstehen ist. Es gibt Antworten auf Fragen wie: Wo liegen welche Städte? Welche Bevölkerungszusammensetzung, welche Mehrheits- und Minderheitssituation gibt es dort? Welche Geschichten haben die unterschiedlichen Gruppen an diesen Orten in den letzten 10 Jahren erlebt? Welcher politische Wille hat sie zertrennt? Was sind die Aufgaben der Kirchen in dieser komplexen Situation?

Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als das heilige Geschenk des Lebens zu bewahren. Was wir heute gehört haben, sind unterschiedliche Aufgaben, die unterschiedliche Kirchen heute, gestern, schon vor Jahren, dafür erfüllt haben. Ich betone dieses "unterschiedliche", denn es ist mir wichtig, dass es unterschiedliche Aufgaben für die unterschiedlichen Kirchen gibt. Wir haben heute drei Beispiele gehört, und in keinem dieser Beispiele hätte man die eine Kirche durch die andere ersetzen können, oder durch die dritte oder die vierte oder die fünfte.

Wir haben von Pater Stojadin gehört, wie Gefangene befreit worden sind und wie orthodoxe Priester diesen Weg geebnet, die Gefangenen begleitet haben von Sarajewo über Belgrad, Budapest in ihre Länder zurück. Ich glaube fest, dass wir einmal gefragt werden, ob wir Gefangene besucht haben. Ich weiss nicht, ob wir gefragt werden, was unser Verständnis vom Staat ist oder vom angemessenen Verhältnis von Staat und Kirche. Meiner Überzeugung nach muss sich einiges ändern im Verständnis von Staat und Kirche, auch in meiner Kirche, aber darüber die Gefangenen zu vergessen, ist sicher falsch. Es ist sicher richtig, die Gefangenen in die Freiheit zu führen.

Wir haben in einem zweiten Beispiel von Vesna auch etwas ganz besonderes gehört: Kein Problem ist schrecklich genug, als dass es nicht die Kraft in sich birgt, Ansatzpunkt für den Frieden zu werden. Es war doch wirklich faszinierend zu hören, wie die Menschen in dem Dorf wo Vesna arbeitet nach Problemen des Zusammenlebens gesucht haben, um dann eines dieser Probleme, nämlich die soziale Misere, als Ausgangspunkt zu nehmen, um ökumenische Begegnung zu ermöglichen. Die Dorfbewohner haben mit ihren ökumenischen Begegnungen nicht abgewartet bis die Ökonomie besser war. Und sie haben auch nicht die verzweifelte ökonomische Lage als einen zu komplizierten Aspekt beiseite gelassen. Hätte das nicht einfacher geklungen: Wir machen eine ökumenische Begegnung, aber die ökonomischen Schwierigkeiten versuchen wir nicht auch noch mitzulösen? Nur die Ökumene zu versuchen, wäre doch schon mühsam genug gewesen. Nein, es ging gerade darum, die wirtschaftliche Misere anzupacken und das Problem zu verwandeln in einen Baustein auf dem Weg des Friedens. Genau das habe ich häufig erlebt auf dem Balkan. Es hat mir mal jemand gesagt, "Ja, Gott, wir haben ja nichts als Probleme hier. Da können wir nur bei einem Problem anfangen." Das ist ein Versuch in Sprache zu fassen, was passiert. Ein anderer Versuch baut darauf, dass Gott wirklich der ist, der aus dem Bösesten Gutes machen kann und will.

Wir haben drei Geschichten gehört, auf dem Seminar in den letzten Tagen noch viele mehr, die nicht nur Brot des Lebens waren. Dafür ich habe noch ein Symbol vom Frühstückstisch mitgebracht: Honig.

Ich glaube, wir, die wir nicht auf dem Balkan leben, brauchen ziemlich viele Geschichten, nicht nur von Brot, sondern auch von Honig. Ich muss sagen, dass in meinem Kopf die Propaganda funktioniert hat. Ich bin nie dahin gekommen zu denken, dass die Bombardierung von Jugoslawien in irgend einer Weise richtig, gerechtfertig, gut, sinnvoll, einziger Ausweg oder was auch immer sei. Aber den anderen Schritt, wirklich politische Arbeit dagegen zu tun oder Freundschaften zu entwickeln, Liebe gegen Feindschaft zu setzen, den habe ich auch nicht getan. Es hat ein Jahr gedauert bis ich an meinen Präses Kock, den Ratsvorsitzenden der Evangelische Kirche in Deutschland, einen Brief schreiben konnte, um einen Dialog anzufangen. Ein Jahr. Da waren die Bomben alle schon gefallen. Ich brauche deshalb Geschichten, die mir das Lieben leicht machen. Deshalb danke ich ganz herzlich für die Geschichten, die Brot des Lebens mit Honig sind.

Alle Geschichten haben gemeinsam gehabt, dass sie nie Arbeit für die Gruppe selbst waren. Keine der Gruppen hat diese Arbeit gemacht, um selber in eine bessere finanzielle Situation oder zu mehr Anerkennung zu kommen. Es ging immer darum, anderen etwas weiterzugeben.

Nun möchte ich einen Blick darauf werfen, was zukünftig noch zu tun ist. Worauf baut man Frieden, Zukunft, Ökumene? Wie findet man zur Wahrheit und Versöhnung? Ich kann kein Rezept dafür geben, habe aber heute etwas gehört, wovon ich glaube, dass wir dem alle zustimmen können. Es sind die alten Worte, dass Kirche drei Dinge ist: Gebet und Liturgie, Verkündigung und tätige Hilfe. Ich glaube, dass es nötig ist, dieses als die Gemeinsamkeit aller hier vertretenen Kirchen zu erkennen. Die anderen tun das auch: Gebet und Liturgie, Verkündigung und tätige Hilfe.

Ich fand es sehr schön zu hören, wer in dieser Wahrnehmung des Gemeinsamen vorangeht. Da sind die Nachbarn in dem Dorf wo Vesna arbeitet, die Gläubigen, die in ihren Gemeindegruppen engagiert sind. Und die anderen, von denen wir dieses gehört haben, sind die serbisch-orthodoxen Klöster, die unter Beschuss von zwei Seiten mit der evangelischen Organisation Bread of Life (Brot des Lebens) zusammenarbeiten. Ich denke, es ist uns sehr vertraut, dass es die einfachen Gläubigen sind, auf die es ankommt. Und dass das Leben in Gemeinschaft besonders stark macht gegen Anfeindung, das kennen wir auch.

Ich wünsche mir noch mindestens einen weiteren Schritt. Es gibt noch sehr, sehr viel zu tun, damit man nicht nur erkennt, sondern auch anerkennt. Nicht nur, dass ich erkenne, wenn ich zu Besuch bin bei anderen: Ihr betet, vielleicht in anderen Worten, aber wie ich zu Gott. Ihr verkündigt etwas vom Reich Gottes, vielleicht auch in anderen Worten, in anderen Sprachen, aber ich höre Gottes Wort bei euch. Ich erkenne, dass eure tätige Hilfe nicht ein Selbstzweck ist, sondern im Auftrag von Jesus Christus steht, der uns mit dem Friedenswort grüsst. Das ist erkennen.

Anerkennen heißt für mich, dass die Strukturen der Kirchen, damit also auch die Leitungen der Kirchen, einander zusprechen: "und so wie ihr das macht, macht ihr das gut".

Der dritte Schritt ist dann sicher, sich dort zusammenzusetzen, wo wir meinen, dass wir selber und auch die anderen noch weitergehen müssen. Wir befinden uns nicht in unmittelbarer Nähe des Friedens, schon gar nicht auf dem Balkan.

Etwas, was mir auf dem Seminar auch noch wichtig geworden ist, ist die Feststellung, dass Erfolg uns nicht versprochen ist. Da war das Beispiel der Monatszeitschrift, die für November und Dezember geschrieben worden war, und erst jetzt gedruckt werden konnte. Diese Tragik verspäteter Prophetie auf Grund von Papiermangel - wer weiss, was dabei raus kommt, das wissen wir nicht – aber trotzdem, diese Tragik, die gehört dazu.

Erfolg ist uns nicht versprochen. Wenn ich in Zagreb ankomme - das ist immer meine erste Station von Deutschland aus -, höre ich viel von Scheitern, von Misslungenem, von unfreundlichen Worten, als Mindestes. Wenn wir uns überlegen, welche Ziele ein Friedensprojekt sich setzen kann, dann gehören Anerkennung und Erfolg sicher nicht dazu, sondern eher so etwas wie beharrliches Tun. Denn das Gegenteil von geplantem Erfolg kann in unserem Fall ja nicht Gleichgültigkeit heißen.

Dieses beharrliche Tun habe ich einmal versucht auszudrücken in einer Hommage an die Menschen, die Frieden stiften. Meine Gedanken, meine Worte verdanke ich den Geschichten und Gesichtern von Freundinnen und Freunden auf dem Balkan.

Abendgedanken

Was tun die heute abend,

die morgen Frieden stiften?

Heute abend

warten auf Gott

weil er schon da war

weil er schon da ist.

Kochen und backen

gute Speisen und gute Worte

um die Herzen der Krieger zu gewinnen

dem Rad in die Speichen fallen

das Mahl der Versöhnung vorbereiten

heute abend.

Die Grenze überschreiten zögerlich

zwischen allen Stühlen sitzen

sich zuneigen

mit Gott ringen

Segen einfordern

heute abend.

Im Dunkeln weinen

nicht aufstehen wollen

das Heil sehen

das Unheil sehen

Trost spüren

begleitet werden

keine Angst mehr vor Verletzungen

heute abend.

Warten auf Gott

weil er schon da war

weil er schon da ist

heute abend.

(in der Stille aufgeschrieben im Advent 2000)

Anthéa Bethge ist Beraterin für kirchliche Gruppen und Institutionen, die Initiativen zur Gewaltüberwindung entwicklen und durchführen wollen. Sie ist Mitglied der Evangelischen Kirche im Rheinland und tätig in Versöhnungsprojekten in Kroatien und Bosnien und Trainings für gewaltfreie Konfliktbearbeitung.

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Berührungspunkte zwischen verschiedenen Konfliktsituationen

Echos vom Dialogforum mit Aleksander Birvis (Jugoslawien), Joe Campbell (Nordirland) und Joséphine Ntithinyuzwa (Ruanda)

• Verantwortung der Kirchen mitten in interethnischen und interreligiösen Konflikten

Trost

Oft waren die Kirchen ein Ort, manchmal sogar der einzige Ort, an dem Trost und Genesung erfahren wurden, wo die Not zum Ausdruck kommen konnte, wo zugehört wurde.

Ausbildung

In zunehmendem Maße ermutigen die Kirchen zur Ausbildung in gewaltfreier Konfliktlösung. Dies muss weiter vorangetrieben werden.

Transparenz

Um wieder mehr Glaubwürdigkeit zu erlangen, sollten die Kirchen ihre Mitantwortung in den Konflikten, sowie ihre Verstricktheit mit der Macht zugeben.

Solidarität

Die Kirchen sollten ihre prophetische Rolle spielen, indem sie die Bedürfnisse aller Menschen zum Ausdruck bringen, und nicht nur die einer einzigen Konfliktpartei.

Verwandlung

Die Kirchen sollten nicht ‚Vergebung und Vergessen’, sondern ‚Erinnerung und Veränderung’ predigen.

 

• Detmolder Bekenntnis - Versöhnungsakt der Christen in Ruanda

Joséphine Ntithinyuzwa

Ich stamme aus Ruanda, bin verheiratet und Mutter von drei Kindern. Wir wohnen seit fünf Jahren in Straßburg und sind Mitglieder der mennonitischen Gemeinde. Es ist kein Zufall, dass wir in dieser Gemeinde sind, bei der wir anfangs niemanden kannten. Nach der Tragödie, die unser Land gerade durchlebt hatte, brauchten wir eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung. Wir hatten von der pazifistischen Tradition der Mennoniten-Kirche gehört und haben die Gemeinde besucht. Wir sind glücklich, uns nicht geirrt zu haben.

Als wir in Europa ankamen, waren wir dankbar, verschont geblieben zu sein und in Frieden leben zu können, aber gleichzeitig fühlten wir uns schuldig, die Unseren im Stich gelassen zu haben. Es war vielleicht kein Zufall, haben wir gedacht, wenn der Herr es uns ermöglicht hat, hier zu sein. Um über all diese Dinge und über die Probleme von Ruanda nachzudenken, hat sich eine Gruppe von Menschen aus Ruanda und europäischer Ruanda-Freunden gebildet. Das war 1996 in Detmold, Deutschland. Diese Begegnung hat zum sogenannten “Detmolder Bekenntnis“ geführt.

Inhalt des Detmolder Bekenntnisses:

Es besteht hauptsächlich aus drei Bekenntnissen, jeweils der Hutus, der Tutsis und der Europäer.

Die Gruppe der Hutus sagt folgendes:

“Wir, hier in Detmold anwesende Hutu-Christen, geben zu, dass die Menschen unseres Volkes die Tutsis auf vielerlei Weise seit 1959 unterdrückt haben. Wir bekennen das Verbrechen des Völkermordes, das die Hutus an den Tutsis begangen haben. Wir schämen uns der Greueltaten, welche die Hutus an den Tutsis begangen haben. Wir bitten demütig Gott und unsere Tutsi-Geschwister um Verzeihen für das Böse, dass wir ihnen angetan haben. Wir setzen uns dafür ein, alles in unserer Macht Mögliche zu tun, um ihnen ihre Ehre und Würde zurückzugeben und um in ihren Augen unsere verlorene Menschlichkeit zurück zu erlangen.“

Die Gruppe der Tutsis sagt folgendes:

“Wir, hier in Detmold anwesende Tutsis-Christen, fühlen uns glücklich und erleichtert durch die Bitte um Vergebung unserer Hutu-Brüder. Unsererseits bitten wir auch Gott und die Hutus um Vergebung für einige arrogante und verachtende Haltungen, die wir ihnen gegenüber im Laufe unserer Geschichte im Namen eines lächerlichen ethnischen Überheblichkeitskomplexes eingenommen haben.“

Die Gruppe der Europäer bekennt:

“Wir, hier in Detmold anwesende Christen aus Westeuropa, bekennen, dass wir seit der Ankunft der ersten Europäer in Ruanda dazu beigetragen haben, das Trennende innerhalb der Bevölkerung von Ruanda zu verstärken. Wir bereuen, dass unsere Länder der Gewalt durch Waffenlieferungen Vorschub geleistet haben. Wir bitten Gott und unsere Geschwister in Ruanda ehrlich um Vergebung und wollen uns mit Jesus auf einen Weg des Zuhörens, des Respekts und der Solidarität machen.“

Diese Erfahrung hat uns darin ermutigt, dass der Gedanke an Versöhnung möglich ist, aber dass der Herr Frauen und Männer benötigt, um in der Bresche zu stehen. Deshalb haben wir dieses Bekenntnis weit gestreut, damit Gott Gebrauch davon machen kann. Selbstverständlich waren die Reaktionen geteilt. Wir haben viel Ermutigung, aber auch gleichzeitig verständliche Kritik erhalten, denn sie kam von verwundeten Herzen.

Im Juli-August 1999 kamen die Unterzeichner des Bekenntnisses in Ruanda wieder zusammen und trafen dort auf Menschen verschiedener Kreise: Gefangene, Intellektuelle, Mitglieder der Kirchen (evangelisch und katholisch), Vereine, sowie die Nationale Kommission für Einheit und Versöhnung, die im März 99 geschaffen worden war. Diese Begegnung in Ruanda hat es ermöglicht, dass der Geist des Bekenntnisses deutlich wurde, was sich in drei Punkten zusammenfassen lässt:

• Sich auf das Hören des Leidens des Anderen einlassen, dessen Leiden so aufnehmen, wie es ausgedrückt wird und Mit-Leid zeigen

• Sein eigenes Leiden und das Leiden des Nächsten ausdrücken, ohne übertriebene Selbstzensur oder Groll

• “In der Bresche“ bekennen, das bedeutet: akzeptieren, dass man mit “seiner“ Gruppe identifiziert wird; das Leiden auf sich nehmen, das anderen von dieser Gruppe angetan wurde; im Namen “seiner“ Gruppe um Vergebung bitten; eine Haltung bezeugen, die Gesundung und Würde für den Verwundeten anstrebt.

Die Früchte eines solchen Bekenntnisses “in der Bresche“ sind:

• Die Heilung der Verwundungen des Herzen,

• Das Ausreißen der Vor- und Pauschalurteile,

• Die Wiederherstellung der geschwisterlichen Beziehungen

• Die physische Rehabilitierung des Landes (“wenn Herz und Verstand geheilt sind, folgt der Rest“1).

Das Detmolder Bekenntnis soll ein Akt sein, die daraus besteht, vor dem Ewigen zugunsten des Landes “auf der Bresche“ zu stehen (Hezechiel 22, 30). Diese Begegnung hat uns gezeigt, dass der Weg noch lang ist. Der mangelnde Enthusiasmus einiger Kirchenführer und der Politiker fiel auf; dennoch waren Initiativen von Christen mutmachend, die von diesem Geist der Heilung ergriffen worden waren. Ich möchte besonders einen Verein erwähnen, das “Afrikanische Evangelisierungswerk“, der eine außerordentliche Versöhnungsarbeit leistet. Im September-Oktober 1999 waren Joseph und Anastase (ein Hutu und ein Tutsi), zwei Verantwortliche dieses Amtes, in Europa, um von den Versöhnungswundern zu sprechen, die Gott in Ruanda getan hat.

Im Oktober 2000 waren sie wieder in Europa und haben in Brüssel die Ruanda-Gemeinde und in Frankreich die Mennoniten-Gemeinden getrof-fen. Nach dieser Begegnung ist uns die Idee gekommen, ein Seminar im Stil der von unseren Geschwistern in Ruanda organisierten Seminare zu veranstalten. Das Ziel war, an einem Ort eine Begegnung zwischen stark zerstrittenen Christen aus Ruanda zustande zu bringen, damit sie die Möglichkeit haben, miteinander zu reden und einander zuzuhören. Etwas Derartiges kann nur mit dem Glauben gehen, denn Projekte dieser Art erfordern viele Mittel und wir sind nur einfache Leute. Wir haben jedoch die Erfahrung Gemacht, dass Gott für uns sorgt. Im Juli 2001 wird dieses Seminar mit 45 Teilnehmern in Brüssel stattfinden. Es ist noch nicht alles geregelt. Wir brauchen Euer Gebet.

Schließlich möchte ich sagen, dass angesichts der sehr umfangreichen, noch zu leistenden Arbeit solche Initiativen wie die unseren illusorisch erscheinen können. Aber wir wissen, dass Gott uns anweist, wie damals schon Gideon, mit der Kraft, die uns innewohnt, unterwegs zu sein, denn den Rest wird der tun, der uns sendet.

Wir sind dankbar für die Familie, die wir bekommen haben. Wir wissen, dass wir nicht allein sind, und das macht uns Mut. Wir brauchen Eure Unterstützung und Eure Gebete.

1. Das Detmolder Bekenntnis in Ruanda. Protokoll der Begegnungen (in Kigali am 1. August 1999 erstellt).

Übersetzung aus dem Französischen: Silvia von Verschuer

 

• Was tun, um Christen und Kirchen zu unterstützen, die sich mit interethnischen und interreligiösen Konflikten auseinandersetzen?

Nicht die Kirche kritisieren, denn Christus liebte die Kirche

Die Geschwister im Gebet mittragen

Besuchsreisen machen – was nicht Tourismus bedeutet, sondern lange genug miteinander unterwegs sein, eine gute Frage stellen, eine angemessene Geschichte erzählen

Müde Friedensstifter einladen und empfangen (Ruhezeiten, Fortbildungszeiten)

An der Ausbildung zur gewaltfreien Konfliktlösung mitarbeiten, sowohl zu Hause als auch an Orten solcher Konflikte

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Die prophetische Rolle der Kirche

Janna Postma

Wieder aufgebaut werden von dir uralte Trümmer; Grundmauern vieler Geschlechter richtest du auf; man nennt dich einen, der Breschen ausbessert; der Pfade wiederherstellt zur Besiedlung. Jesaja 58 Vers 12

Liebe Gemeinde Jesu Christi, versammelt aus aller Welt,

Es ist doch wohl eine ganz besondere Gemeinde, die sich hier trifft. Nicht nur weil sie zusammengesetzt ist aus Mitgliedern mehrerer Kirchen und Gemeinschaften. Eher wohl, weil wir uns heute auf das prophetische Wort konzentrieren, und es auch in unser Handeln einbeziehen wollen. Wir möchten so gerne Breschen ausbessern. Viele der Anwesenden kennen die Freude und auch die Enttäuschungen die dazu gehören, dass man es immer wieder versucht: aufbauen wo Trümmer sind, Beziehungen wiederherstellen, wo sie abgebrochen worden. Und mitunter spürt man wie der Riss durch die eigene Person geht.

Das Kapitel aus Jesaja das wir heute lesen ist eine Mahnrede. Ihr seid hier zu Gast bei den niederländischen Mennonniten, und sie haben sich darin spezialisiert. Unsere Gotteshäuser sind sehr bescheiden im Stil, aber sie heissen “Vermaning” - “Mahnung”. Wer darf denn wen mahnen, das ist immer die Frage. Die Propheten hörten die Stimme Gottes und sprachen, aber sie wurden von ihrem Volk in Frage gestellt oder sogar verfolgt. Wenn wir jetzt lesen was der Prophet aus Israel zu sagen hatte, stellen wir uns dann neben ihn oder befinden wir uns, etwas bescheidener, bei denen die ihm zuhören? Ich würde letzteres vorschlagen. Wenn wir schon ein prophetisches Wort sprechen und tun in der Kirche und über ihre Grenzen hinaus, dann sollen andere es von uns sagen.

Unsere Zeit sieht der dieses Propheten recht ähnlich. Es gibt viele Trümmer. Es hat da wohl jeder seine Erinnerungen, und manche unter uns finden die Trümmer wieder vor wenn sie heimkehren. Wir haben uns dafür entschieden daran auszubessern, und das ist nicht immer leicht, weil wir ja die Trümmer im eigenen Herz mittragen, wenn wir mitten drin gewesen sind. Das war auch so für den Propheten: er spricht in einer Zeit, wo einmal grosse Erwartungen aufgekommen sind: das Volk Israel würde zurückkehren aus dem Exil, die Verheissung eines neuen Exodus aus der Sklaverei. Sämtliche Gerichtsprophetien wurden ausgeklammert, jetzt käme das Heil! “Tröstet, tröstet mein Volk. Wir werden nicht mehr abtrünnig sein, Er ist unser Gott und wir sind Sein Volk!”

Als dann aber das Volk auszieht aus Babylon und wieder einzieht in das Land, da ist es nur eine kleine Gruppe. Viele sind zurückgeblieben in Babylon, und dienigen die nie im Exil waren, sind in den siebzig Jahren ohne geistliche Führung arg demoralisiert.

In dieser Zeit redet unser Prophet. Es werden neue Risse sichtbar, nicht nur die buchstäblichen, sondern auch die Zerspaltung unter jenen die das Land bevölkern. Und nun müssen die Leute sich wieder dem Alltag stellen: Häuser bewohnen, den Acker bebauen und seine Geschäfte treiben. Es werden Kinder geboren, und die muss man doch ernähren. Die Einheit im Dank an Gott, der die Rückkehr ermöglichte, symbolisiert im Tempelbau, kann da ja wohl noch warten. Es ist auffällig, wie wenig der Prophet spricht vom kultischen Leben. Es wird vorausgesetzt: freilich sollst Du Gott anbeten und fasten, um die Zeiten der Not zu gedenken. Das Volk sucht zwar die Wege Gottes, und beklagt sich, weil Er es nicht ansieht. Da antwortet ihnen der Prophet: Ihr geht euren Geschäften nach an den Tagen des Fastens, ihr bedrückt die Elenden! Und dann lasst ihr dazu den Kopf hängen. Das Fasten aber, das Ihm wohlgefällt besteht darin: reisst das Joch weg, mit dem ihr den Nächsten belastet, nährt den Hungrigen Leib und Seele. Bereitet der Unterjochung, dem Fingerstrecken und dem Gerade ein Ende! Und nun bricht doch die Heilsprophetie durch: Dann wird es licht werden um Dich, Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und eine Quelle, die ständig überfliesst. Wenn Du rufst zu Gott, dann wird Er Dir antworten. In diesen Versen hört man einen Anklang an das Buch Hiob. Was mir am meisten gefällt im ganzen Kapitel, steht im Vers 8: Dann wird sich eine neue Haut legen auf Deine Wunde. Der Prophet weiss um die Wunden seiner Leute, auch wenn er sie anklagt.

Die Risse, die Breschen sind hier wohl ganz buchstäblich gemeint. In den Psalmen und beim Exilspropheten Hesekiel ist auch zu finden wie die Risse zwischen Mensch und Gott, dem Menschen und seinem Nächsten, aussehen. Breschen in der Mauer, Breschen im Zusammenleben. Sogar wenn Krieg und Exil vorbei sind und eine Rückkehr in ein normaleres Leben möglich wird, dann ist es noch nicht aus mit Gewalt und Entfremdung. Es braucht dann solche, die sich in die Bresche stellen, um gleichsam selber eine Mauer zu sein.

Psalm 106 sagt dazu: Moses stellte sich in die Bresche, damit Gott Sein Volk nicht vertilgt. Und Hesekiel klagt die Propheten an, in der Zeit kurz vor der Vernichtung Jerusalems: “O Israel deine Propheten sind wie die Füchse in den Trümmern! Sie sind nicht in die Bresche getreten und haben sich nicht zur Mauer gemacht um das Haus Israel!”

Liebe Freunde, wer von uns erkennt nicht die Lage der Israeliten, die zurückkehren aus dem fremden Land, erschüttert durch Krieg und Zerspaltung. Und das von dem Unrecht, das es gilt zu beseitigen um Gottes Wege zu finden, davon wissen wir ja auch. Wir erwarten einen neuen Anfang, wenn Befreiung geschehen ist, und dann geht alles so langsam voran. Der Prophet redet dennoch vom Heil.

Das ist nicht so eine Art sorgloser Zustand, nach dem wir mitunter alle mal verlangen. Es ist die Nähe Gottes: wenn wir uns bemühen um solche die aus dem Unrecht und der Not gar nicht herauskommen, dann wird Er auch uns hören, wenn wir zu Ihm rufen. Wir wissen um Unterjochung und Gerade auf Grund dessen, was ein Mensch “nun einmal ist”. Es gehört zu der Gewalt, gegen die wir uns in die Bresche stellen. Und an dem Ort, da kann man ja selber etwas abkriegen, weil man sich zu jenen gesellt, die für die andere Partei als Unmenschen gelten.

So lasst es unsere Bitte sein, in Gottes Nähe leben zu dürfen, damit wir durchhalten. Und auch einander nahe zu bleiben, damit wir nicht uns selbst überfordern, sondern eine heilende Hand annehmen. Er schenkt uns den Nächsten, Er schenkt uns die Gemeinschaft der Gläubigen, damit wir Ihn kennen lernen. Nur wenn wir uns gegenseitig ansehen, sieht auch Er uns an.

Janna Postma ist mennonitische Pastorin in den Niederlanden. Sie ist aktives Mitglied der niederländischen mennonitischen Friedensgruppe (DVG) und des Internationalen Versöhnungbundes und engagiert sich in der ökumenischen Bewegung.