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Bereits zum zweiten Mal gibt es das Projekt während der Sommerferien im Freibad der Domstadt :

Wenn sich die Gemüter im Wetzlarer Freibad zu sehr erhitzen, sorgen die "Streetworker" für Abkühlung

Wetzlar. "Schwimmbad-Sheriffs" sind sie wahrlich nicht, die Streetworker im Wetzlarer Freibad "Domblick". Allein Ihre weißen T-Shirts mit dem bunten Logo-Aufdruck über der Badehose oder dem Bikini stehen dem entgegen. Die Bekleidung soll lediglich der Wiedererkennung dienen. Haupaufgabe der 16 ehrenamtlich tätigen jungen Frauen und Männer ist es, Kontakte zu den Badbesuchern aufzubauen, um so Konflikte und Streitigkeiten gar nicht aufkommen zu lassen. Und wenn die erhitzten Gemüter am Rande des kühlen Nasses doch einmal aneinandergeraten, dann sollen die Streetworker dazwischengehen und schlichten. Initiatoren der Aktion sind der Stadtjugendring und das städtische Koordinationsbüro für Soziales und Jugend.

Heiß brennt die Sonne an diesem Nachmittag vom Himmel auf das Freibad "Domblik" mitten in der Wetzlarer City. Der Anzeigetafel ist zu entnehmen, daß man maximal 29 Minuten lang ungeschützt sonnenbaden sollte. Dicht an dicht bevölkern die Sonnenanbeter auf ihren Handtüchern die Liegewiesen. Proppenvoll auch die drei Schwimmbecken, wo "nur" 27 Grad warmes Wasser zur Abkühlung einlädt. Doch obwohl der Nachmittag als einer der am besten besuchtesten in die Saisonannalen eingehen wird, verzeichnet das Tagebuch der Streetworker um 18 Uhr "Keine Vorkommnisse".
"Schon unsere bloße Anwesenheit sorgt dafür, daß sich die Gemüter nich so sehr erhitzen", berichtet Medeni (22), Student aus Gießen. Mit ihrer multinationalen Truppe - Deutsche, Türken, Bosnier und ein Engländer - können die 16 Streetworker im Alter von 15 bis 30 Jahren flexibel auf Auseinandersetzungen mit Jugendlichen aller möglichen Nationalitäten reagieren. Wichtig ist es ihnen in diesem Jahr besonders, daß mindestens eine Frau in dem dreiköpfigen Team dabei ist, das jeden Nachmittag von 14 bis 18 Uhr auf dem Freibadgelände unterwegs ist.
"Viele Streßmacher haben wir im letzten Jahr wohl schon abgeschreckt, die kommen dieses Jahr überhaupt nicht mehr", sagt Medeni. Erst zweimal kann es in diesem Sommer zu erwähnenswerten Reibereien. Martin (15) Schüler aus Wetzlar, berichtet, daß eine Gruppe türkischer Jugendlicher eine Gruppe junge Aussiedler aus Kasachstan anpöbelte, weil diese sich auf dem "Stammplatz" der Türken niedergelassen hatten. Kurzerhand forderte er beide Gruppen auf, die gegenseitigen Anschuldigungen laut zu formulieren und erreichte, daß sich die beiden Gruppen nebeneinander setzten. Schon nach kurzer Zeit beteiligten sich die Türken an einem Volleyballspiel, das Martin direkt nach der Schlichtung mit den Kasachen begonnen hatte.
Vorurteile, daß Jugendliche bestimmter Nationalitäten besonders aggressiv seien, lassen die Streetworker nicht im Raum stehen. "Das kommt genauso unter Deutschen vor" , verteidigt Ercan (25) aus Wetzlar-Niedergirmes seine Landsleute. Vielmehr sorgten besonders Jugendliche rund um die Pubertät für Probleme - ungeachtet ihrer Nationalität. "Wenn bei den Jungs das Testosteron überschwappt, werden sie eben etwas übermütig", konstatieren die Streetworker.
Finanziert wird das Streetworker-Projekt aus städtischen Geldern sowie aus Spenden zahlreicher Institutionen, Einzelpersonen und Firmen. Regelmäßig kommen die Streetworker mit ihrer Supervisorin zusammen, um über Erlebnisse, Gefühle und Probleme zu berichten.
"Daß wir mit diesem Projekt lediglich ein kleines Zeichen setzen können, wissen wir ", sagen die Initiatoren.Steigende Gewaltberetschaft und Kriminalität unter jungen Leuten sei ein Problem in weiten Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Gründe vermuten die Initiatoren in Verunsicherungen im Leben der Jugendlichen, verursacht beispielsweise durch die hohe Arbeitslosigkeit, den Lehrstellenmangel, bei Flüchtlingen und Asylbewerbern auch in der Angst vor der Abschiebung. Schule und Polizei klagen daher zunehmend über Zerstörungen, Gewaltdelikte und Aggressionen. "Diese Probleme können wir nicht lösen, aber wir können zumindest ihre Auswirkungen anpacken", schränkt Barbara Bayani vom Koordinationsbüro ein.
Besonders während der schulfreien Zeit verlagern sich die Probleme dorthin, wo sich die Jugendlichen aufhielten. Das Freibad wird dabei zu einem Treff- und Brennpunkt. Hier stoßen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus unterschiedlichsten Lebensumfeldern aufeinander, dazu kommen Familien mit Kindern und ältere Leute: Das Freibad wird so zur heimischen Urlaubsadresse Nummer Eins. "Haufig eskalieren dann schon die Alltagsprobleme aufgrund der persönlichen Nähe in aggressivem Verhalten", so Frau Bayani. Die Streetworker-Aktion soll deshalb vor allem helfen, das Miteinander zu fördern und so präventiv Auseinandersetzungen zuvorzukommen. Vor allem Zivilcourage, der Mut, ein Problem anzupacken oder sich in einen Streit einzumischen, solle mit dem Projekt gefördert werden, so die engagierte Verwaltungsfrau: "Es ist wichtig, daß unsere Gesellschaft lernt, hinzuschauen, anstatt sich abzuwenden!"
Natürlich begegnen die Streetworker im Wetzlarer Freibad keinem lokal begrenzten Problem. Das belegen zahlreiche Anfragen aus anderen Schwimmbädern wie jüngst dem Usa-Wellenbad in Bad Nauheim. Auch die Verantwortlichen des Gießener Badezentrums Ringallee haben sich bereits über das Projekt informiert.
Somit ist der Besuch des Wetzlarer Freibades nicht "gefährlicher" oder unangenehmer als das Baden andernorts. Vielmehr lädt die zentrale und idyllische Lage ein, mal wieder das Freibad "Domblick" zu besuchen. Und sollte es doch einmal ärger gegeben, so helfen die Streetworker gerne weiter.

/Sonntag-Morgenmagazin, 17. Aug. 97., Seite 3/